Jüdisches Leben in Tiergarten Süd:  Fernsehdiskussion auf TV Berlin

Anlässlich des Jahrestages der Reichspogrom-Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 einerseits, und den antisemitischen Ausschreitungen auch und gerade in Berlin nach dem Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober und den bereits jetzt Gaza-Krieg genannten Auseinandersetzungen seitdem, ist das Interesse an jüdischem Leben gestern und heute groß und erreichte auch die Redaktion von Mittendran. Nach Anfrage des Privatsenders TV Berlin sprach Prof. Dr. Paul Enck am Dienstag, den 8.11. um 18:00 Uhr in der Sendung „Brinkmann & König“ über jüdisches Leben in Berlin vor 1933, insbesondere in Tiergarten Süd, und berichtete von seinen Recherchen aus dem Lützow-Viertel, deren Ergebnisse in diesem Blog sowie bei www.mittendran.de nachlesbar sind. Der Link zur Sendung, die bis auf Weiteres auf YouTube zu sehen ist, ist hier: https://youtu.be/tJzcnX1wRGs.

Im Studio bei TV Berlin: Ewald König, Paul Enck, Peter Brinkmann (v.li.)

Gedenktafel für Erich Reiss

Am 2. November kamen rund 30 Menschen in die Wichmannstr. 9 in Tiergarten, dem früheren Wohnort des jüdischen Verlegers Erich Reiss. Nach der Begrüßung durch Nora Hogrefe, Aktives Museum, sprach Sarah Wedl-Wilson, Staatssekretärin für Kultur, in Vertretung des Kultursenators ein Grußwort. Sie betonte die Bedeutung des verlegerischen Wirkens von Erich Reiss, der am 1. Februar 1887 in Berlin geboren wurde. Erich Reiss verlegte Autoren wie Egon Erwin Kisch, Gottfried Benn und viele andere. Nach kurzer Haft im KZ Sachsenhausen konnte er durch Engagement der schwedischen Autorin Selma Lagerlöf und anderer 1939 in die USA emigrieren, wo Erich Reiss 1951 starb.

Sarah Wedl-Wilson, Staatssekretärin für Kultur, beim Grußwort

Anschließend sprach Georg Friedrichs, Vorstandsvorsitzender der Gasag AG. Friedrichs bekannte sich zum Engagement des Gasversorgers gegen Antisemitismus. Die Gasag ist ein wichtiger Förderer der Berliner Gedenktafeln.

Georg Friedrichs, Vorstandsvorsitzender der Gasag AG

Die Laudatio hielt der Berliner Verleger Dieter Beuermann mit sehr viel Wissen über die Persönlichkeit von Erich Reiss, der seinem Freund Gottfried Benn sogar dessen antisemitische Ausfälle nachsah. Erich Reiss sei ein mutiger Verleger gewesen, der sein Vermögen dafür einsetzte, Autoren und Bücher zu verlegen, die ihm am Herzen lagen. Dieter Beuermann geriet ins Schwärmen über kunstvoll illustrierte Bücher, die heute begehrte Raritäten seien. Erich Reiss habe Weltliteratur verlegt.

Der Verleger Dieter Beuermann hielt die Laudatio auf Erich Reiss

Gäste der Gedenktafel-Enthüllung in der Wichmannstraße

Die Gedenktafel für Erich Reiss

Gedenkveranstaltung für die vergessene Berliner Malerin Eugenie Fuchs

Vor dem Gebäude der Urania, An der Urania Nr. 7, wurde am
Sonntag, 22. Oktober 2023, ein Stolperstein zum Gedenken an die jüdische Malerin Eugenie Fuchs verlegt.

Selbstbildnis Eugenie Fuchs

Eugenie Fuchs, geboren 1873 in Berlin, hatte viele Jahre in Schöneberg, an der ehemaligen Nettelbeckstraße gewohnt. 1933 musste sie Berlin verlassen und ging ins sicher geglaubte Exil in Paris. Von dort wurde sie 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Rabbinerin Jasmin Andriani sang und sprach anlässlich der Stolpersteinverlegung ein Kaddish für Eugenie Fuchs. Andriani wies darauf hin, dass ein Kaddish am Grab eines Verstorbenen gesprochen werden soll, da Eugenie Fuchs aber kein Grab habe, käme dieser Stolperstein ihrem Grab am nächsten.

Gedenken an Eugenie Fuchs anlässlich der Stolpersteinverlegung

Rund 40 Personen nahmen an der Verlegung des Stolpersteins teil, die unter erhöhtem Polizeischutz stattfand.

Stolperstein für Eugenie Fuchs

Zuvor gab es in der Urania eine Gedenkveranstaltung, in der das Leben und das künstlerische Werk von Eugenie Fuchs gewürdigt wurde. Die Ehrung fand im Kleist-Saal statt, einem holzgetäfelten großen Raum, der bis 1937 einer jüdischen Loge gehörte, deren Vorsitzender Leo Baeck war.

Kultursenator Joe Chialo sprach ein Grußwort anlässlich der Gedenkveranstaltung in der Urania

Berlins Kultursenator Joe Chialo sprach anerkennende Worte über das Werk der zu Unrecht vergessenen Berliner Malerin Eugenie Fuchs. Erinnern sei wichtig, so Chialo, gerade in der gegenwärtigen Situation, damit sich Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen nicht wiederholen.

Im Anschluss berichtete Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, über seine sehr persönliche Verbindung zu Eugenie Fuchs. Im Rahmen der Vorbereitung einer Ausstellung mit dem Titel „Geraubte Mitte“ hatte Spies von der vergessenen Malerin erfahren und stellte fest „sie konnte malen“; eines ihrer Bilder konnte Spies für das Stadtmuseum erwerben.

Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, im Kleist-Saal der Urania

Paul Spies wies auf das Schicksal vieler jüdischer Künstler*innen hin, die, von den Nationalsozialisten vertrieben und ermordet wurden. Es sei wichtig, an ihr Leben und Werk zu erinnern, gerade angesichts der gegenwärtigen Ereignisse im Nahen Osten.

Lutz Mauersberger, der vor wenigen Tagen sein neues Buch (1) über Eugenie Fuchs vorgelegt hat, berichtete sehr kenntnisreich über seine Recherchen zu Leben und Werk der Künstlerin. Nur etwa 10 ihrer Werke waren bisher aufzufinden, vermutlich sind viele Bilder für immer verloren. In den Zwanziger Jahren sei ihre Beteiligung an zahlreichen Ausstellungen nachweisbar. Er freue sich, so Mauersberger, dass zum 150. Geburtstag der Künstlerin erstmals wieder Menschen von ihrem Schicksal erfahren.

Autor Lutz Mauersberger beim Vortrag in der Urania

REDE VON SARAH RICHARDSON 

Anlässlich der Stolpersteinverlegung für die Familie Ledermann / Citroen

Am 8. September wurden vor dem Haus Genthiner Straße 14 fünf Stolpersteine zum Gedenken an die Familie Ledermann verlegt. Sarah Richardson lebt heute in den USA, wohin ihre Großmutter Barbara Ledermann als einzige Überlebende ihrer Familie 1947 auswanderte. Auf der Gedenkveranstaltung zur Verlegung der Stolpersteine am 8. September in der Villa Lützow hielt Sarah Richardson eine berührende Rede, die wir in Auszügen veröffentlichen.

HERWARTH WALDEN UND SEINE „STURM-GALERIE“

Bis zum Beginn des Nationalsozialismus war Tiergarten Süd ein Hotspot der zeitgenössischen Kunst. Zu den  wichtigsten Galeristen gehörte Herwarth Walden, der 1912 seine „Sturm-Galerie“ in der Potsdamer Straße 134a eröffnete.

Mildred und Arvid Harnack

Stolpersteine erneut verlegt

Am 7. Oktober um 14:00 Uhr trafen sich rund zwanzig Menschen vor dem Haus Genthiner Straße 14, um die Stolpersteine für Mildred und Arvid Harnack noch einmal zu verlegen. Die beiden Widerstandskämpfer Mildred und Arvid Harnack lebten bis zu ihrer Verhaftung im September 1942 an dieser Adresse.
In der Nacht vom 3. Mai 2019 waren die Stolpersteine gestohlen und der Hauseingang mit Nazi-Parolen beschmiert worden. So fand die erneute Verlegung unter Polizeischutz statt.