Das Haus Fürstenberg am Lützowplatz – 2

Im ersten Teil der Geschichte hatten wir die Großeltern des Egon Sally Fürstenberg kennengelernt, Joseph David (Fürstenberg), der Handelsmann aus Lindow und seine Frau Fanni, geborene Levin/Michel. Sie hatten zwei Söhne, David Fürstenberg, geboren 1820 in Lindow, und Philipp Fürstenberg, geboren 1824, ebenfalls in Lindow, der Vater des Egon Sally.

Der Onkel, David Fürstenberg

Davids Lebensweg verlief nicht unbedingt auf einer geraden Spur: Im Alter von 29 Jahren und von Beruf Handelsgehilfe (auf dem Wege zum Kaufmann, aber eben noch nicht fertig) beging er 1849 (?) eine Straftat, nämlich Zoll-Fraudation – Steuerhinterziehung würde man heute sagen, damals wie heute ein Offizialdelikt, wenn es eine bestimmte Größenordnung überschritt – und setzte gleich eine weitere obendrauf, nämlich einen Bestechungsversuch des Zollbeamten. Die erste brachte ihm eine Strafe von 2 Monaten Gefängnis ein, das zweite, schlimmere Delikt (auch heute) weitere 10 Monate Gefängnis, und beiden Strafen entzog er sich durch Flucht (und beging somit eine dritte Straftat) und wurde steckbrieflich gesucht (Bild 5) (9).

Bild 4: Steckbriefliche Suche nach David Fürstenberg wegen Zoll-Vergehens 1849 (aus: (4))

Wir wissen nicht, wohin er geflohen war und wann und wo er gefasst wurde, aber es ist sicher, dass er gefasst wurde, denn er blieb in Preußen und heiratete 1851 in Lindow. Er wird zumindest einen Teil seiner Strafen abgesessen haben, denn zwischen der steckbrieflichen Suche nach ihm (7. August 1849) und seiner Heirat am 1. Oktober 1851 vergingen zwei Jahre – das mag gereicht haben für 12 Monate Gefängnis und weitere 12 Monate, die Frau fürs Leben zu finden. Seine Braut, Rebecca Bertha Hannemann, war gegen 1826 in Königsberg/Preußen geboren worden, uneheliche Tochter des Handelsdieners Moses Aron Hannemann aus Danzig und seiner Frau Sara, geborene Weinstock (Bild 6).

Bild 5: Heiratseintrag von David Fürstenberg und Rebecca Hannemann vom 1. Oktober 1851 (Quelle: Acta der Königl. Kreisgerichts-Commission zu Lindow betreffend die angemeldeten Heiraten unter den Juden. BLHA, Akte 5D Lindow M67).

Mit ihr zeugte er viele Kinder: Die ersten drei kamen noch in Lindow zur Welt (Moritz, 1850; Isidor 1852; Zerline 1854) (Bild 7), aber dann zog die Familie um nach Spandau, damals noch eine eigenständige Stadt vor den Toren Berlins. Hier kamen zwei weitere Kinder zur Welt: Jenny 1858 und Ida 1861. Und 1865 spätestens wohnte die Familie laut Berliner Adressbuch in Berlin, aus David ist ein (ehrbarer) Kaufmann geworden, und die Familie wächst um ein weiteres Kind (Betty 1863). Alle Kinder ihrerseits heiraten und bekommen Kinder, aber das soll uns an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen. Ein interessantes Detail fiel jedoch am Rande auf: Die Tochter Zerline (1854-1914) heiratete 1891 einen Samuel Simmel, Korrespondent aus Neumarkt (Schlesien), geboren 1854, der zu diesem Zeitpunkt in Berlin-Schöneberg lebte. Die Frage von Felicitas Spring, ob dieser Samuel Simmel gemeinsame Vorfahren mit dem Romanautor Johann Mario Simmel (1924-2009) (10) hatte, löste eine neue Recherche aus – aber der genealogische Nachweis dieser Verbindung ist schon eine eigene Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.

Bild 6: Geburtsanzeige der Kinder von David und Rebecca Fürstenberg, Isidor und Zerline. (Quelle: Acta der Königl. Kreisgerichts-Commission zu Lindow betreffend die angemeldeten Geburten unter den Juden. BLHA, Akte 5D Lindow M49)

David und seine Familie blieben in Berlin, hatten eine Reihe von Wohnungen in verschiedenen nördlichen Bezirken der Stadt rund um das Scheunenviertel (s. Karte, Bild 7). Ob die Familie Kontakt zum Bruder Philipp hielt, ist aus den vorliegenden Unterlagen nicht zu ermitteln, aber bei der Nähe ihrer Wohnungen zueinander zumindest zeitweilig nicht unwahrscheinlich. David Fürstenberg starb am 15. September 1895, zuletzt wohnhaft Weinbergweg 11b in Berlins Norden. Der Tod wird von seinem Sohn Isidor gemeldet, Kaufmann wie der Vater; seine Frau war bereits am 7. Oktober 1880 verstorben, ebenfalls in Berlin. Seine Sterbeurkunde bestätigte den Hinweis auf die Herkunft der Familie aus Lindow, Kreis Ruppin (s. oben)

Bild 7: Karte von Berlin 1910 mit den aus den Berliner Adressbüchern entnommenen ungefähren Wohnorte der Familien von David Fürstenberg (blau) und Philipp Fürstenberg (rot) in den Jahren 1858 und 1898. Grün markiert ist der Standort der Firma Rosenhain an der Leipzigerstraße, in die Egon Sally Fürstenberg einheiratete.

Der Vater, Philipp Fürstenberg

Phillipp Fürstenberg, geboren in Lindow Kreis Ruppin 1824, mosaischer Religion, kam 1858 oder im Jahr zuvor nach Berlin, und heiratete (vor 1860) Emma Frank (Berlin 27. März 1837 – 7. Oktober 1911 Berlin, Josef-Straße 5), Tochter der unverehelichten Marianne Frank aus Bärwalde (Marianne Frank, Köchin, Friedrichstr. 76, starb im Alter von 26 Jahren bei der Geburt von Emma im jüdischen Lazarett). Der Tod wurde von seinem Sohn Gustav gemeldet.

Gemessen an seinen Wohnsitzen in Berlin, und insbesondere im Vergleich zu seinem Bruder David, war Philipp wahrscheinlich der erfolgreichere Kaufmann, auch wenn wir von beiden nicht wissen, womit sie eigentlich gehandelt haben. Beide tauchen nicht in den Mitgliederlisten der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin (gegründet 1820) auf, und beide sind auch nicht im „Nachweis sämmtlicher Geschäfts- und Gewerbetreibenden“ der Berliner Adressbücher in den Jahren ihrer Berufstätigkeit vertreten – dafür war ihr Geschäft wohl zu unbedeutend. Auch Anzeigen in zeitgenössischen Journalen haben wir nicht gefunden, bis auf eine Werbeanzeige des Kaufmanns Philipp Fürstenberg im Jahr 1865, in der er einem anderen Kaufmann durch eine in dieser Zeit durchaus übliche Werbeaussage beim Verkauf eines Hustenmittels („Katarrh-Brödchen“, heute als Salmiak-Pastillen bekannt) unterstützt, vermutlich gegen Bezahlung (Bild 8). 

Bild 8: Anzeige aus der Berliner Gerichts-Zeitung, 13. Jahrgang Nr. 52 vom 4. Mai 1865, Seite 4: Dr. Müller´s Katharr-Brödchen (= Salmiak-Pastillen), die der Kaufmann Philipp Fürstenberg lobt.

Woraus wir schließen, dass es mit seinem Geschäft aufwärts ging, ist vielmehr der Wechsel der Wohnadressen zwischen 1858 und 1911, die im Norden Berlins beginnen und im Südosten der Stadt enden (s. Bild 7) – anders als asein Bruder David – und die Sozialstruktur der Berliner Stadtbezirke zeigte zu allen Zeiten ein deutliches Süd-Nord-Gefälle (11). Es ist allerdings evident, dass dieser Aufstieg erst ab etwa dem Jahr 1880 mit dem Umzug in die Franzstraße 18 – in die „Luisenstadt diesseits des Kanals“ – einsetzte und möglicherweise damit auch die bemerkenswerte Karriere des Egon Sally Fürstenberg in Gang setzte.

Im Laufe dieser Jahre kamen die vier Kinder zur Welt (1860, 1862, 1865 und 1868). Außerdem zog die Mutter aus Lindow zu ihm und seiner Familie nach dem Tod ihres Ehemanns (1861) – zumindest wohnte sie bei ihnen in der Franzstraße 18 (die es heute nicht mehr gibt) im Jahr ihres Todes 1884 und darüber hinaus bis 1891. Ab 1893 ist er nicht mehr im Adressbuch gelistet (außer im Jahr 1895), vermutlich wohnten er und seine Frau Emma bei einem ihrer Kinder. Er starb 27. Juni 1898, die Adresse zu diesem Zeitpunkt war die Joseph-Straße 5 – dies war die gleiche Adresse wie die seines Sohnes Gustav Fürstenberg, der den Tod anzeigte; es war quasi „um die Ecke“ zur Franzstraße. Emma starb 13 Jahre später, am 7. Oktober 1911, zu diesem Zeitpunkt wohnte sie immer noch in der Joseph-Straße 5, allerdings war Gustav inzwischen umgezogen nach Charlottenburg; laut ihrer Sterbeurkunde war sie bei ihrem Tod im Haus ihres Sohnes Egon Sally am Lützowplatz 5 (Bild 9).

Bild 9: Foto des Lützowplatzes (um 1910) nach Süd-Osten. Mit dem Pfeil markiert ist das Haus Nr. 5 (heute Nr. 9) des Egon Sally Fürstenberg (Fotograf und Quelle unbekannt, gemeinfrei).

Nachdem alle Fürstenberg-Familienangehörigen in Berlin angekommen sind, werden wir im nächsten Teil die drei Geschwister von Egon Sally Fürstenberg ein wenig begleiten. 

Literatur:

  1. Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen Nr. 185 vom 11. August 1849, 2. Beilage, Seite 4.
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Mario_Simmel.
  3. Ekkehard Wiest. Das Berliner Adreßbuch des Jahres 1812, In: Stadtgeschichte im Fokus von Kultus- und Sozialgeschichte. Festschrift für Laurenz Demps. Hrgs. von W.Voigt & K. Wernicke. Trafo Verlag Berlin 2006, S. 119-158.