Das Haus Fürstenberg am Lützowplatz – 9

Im Wiedergutmachungsverfahren Fürstenberg gegen die Firma Reiwinkel „Haus der Geschenke“ bzw. gegen dessen Kommanditisten Walter Koch war die Ausgangssituation eine etwas andere: 

Die Firma Reiwinkel im und nach dem Krieg

Das Geschäft in der Leipziger Straße 72-73 bis zur Niederwallstraße 13 war zwar im Krieg erheblich beschädigt worden (Bild 41), lag aber nach dem Krieg im sowjetischen Sektor der Stadt, und die Sowjets haben die Restitutionsanordnungen der westlichen Militärbehörden nicht mitgetragen; die 1949 gegründete DDR sah sich nicht als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches und hat daher die Wiedergutmachungsregelungen ebenfalls nicht für sich akzeptiert: die entsprechenden Gebäude und Grundstücke gingen vermutlich in Staatseigentum über (36).

Bild 41: Foto des Geschäftes der Firma Rosenhain in der Leipziger Straße 72/73 aus dem Jahr 1945. Hinter dem Haus rechts von Rosenhain sieht man die ebenfalls kriegsbeschädigten Kollonaden. Zum Vergleich siehe die Bilder 20 und 21 im Teil 5 (Quelle: Albert Rosenhain Collection im Leo-Baeck-Institut New York, Archiv Nr. AR 3272: mit freundlicher Genehmigung).

Das Geschäft am Kurfürstendamm 230/232 (Bild 42) war durch Bomben 1943/4 zerstört worden, Teile des Warenlagers im Wert von 170.000 Mark waren vor den anrückenden russischen Truppen gen Westen gebracht worden und landeten schlussendlich im niedersächsischen Bückeburg (zwischen Hannover und Bielefeld) im britischen Sektor, wo sie teilweise von der Armee bzw. der Luftwaffe 1945 beschlagnahmt worden war (49, Bl. 8f). Ein separates Klageverfahren der Fürstenbergs gegen diese Beschlagnahmung wurde dem Hauptverfahren zugeschlagen.

Bild 42: Das Geschäft „Rosenhain, Haus der Geschenke“ am Kurfürstendamm im Jahr 1936 (Beflaggung für die Olympischen Spiele) (Quelle: Albert Rosenhain Collection im Leo-Baeck-Institut New York, Archiv Nr. AR 3272: mit freundlicher Genehmigung).

Der Reiwinkel-Teilhaber Ludwig Reisse war am 7. Mai 1943 aus der Firma ausgeschieden, und der Teilhaber Fritz Grawinkel war am 11. August 1944 bei einem Bombenangriff in Berlin ums Leben gekommen. Seine Witwe Gertrud Grawinkel lebte bei Kriegsende in Erkelenz (bei Düsseldorf) und registrierte am 9. Dezember 1957 die Firma Reiwinkel in Düsseldorf (Königsallee 98), aber schon zwei Jahr später überlies sie die Firma Reiwinkel Walter Koch allein, der sie im Jahr 12. November 1959 zurück nach Berlin verlegte, jetzt mit seiner Frau Hildegard geborene Hoffmann als Geschäftsführerin (50). Bis 1964 versuchte die Firma noch, in Berlin Geschäftsräume am Kurfürstendamm anzumieten oder zu kaufen, dann wurde sie auf Drängen der Industrie- und Handelskammer (51, Bl. 5,18,25,27) am 12. Dezember 1964 im Handelsregister gelöscht (52). In dieser ganzen Zeit lief gegen Koch und die Firma der Wiedergutmachungsanspruch der Fürstenbergs. Die wurde auch in diesen Verfahren durch den Rechtsanwalt (RA) Hans-Georg Tovote, Berlin vertreten, der ihr Familienanwalt bereits vor dem Krieg war und der auch der Testamentsvollstrecker für das Testament von Gustav Fürstenberg war (siehe Teil 6). Walter Koch wurde vom Rechtsanwalt (RA) Hermann Reuss aus Berlin vertreten.

Die gleichen Argumente, ein ähnlicher Ton

Die Ausgangssituation war, wie gesagt, eine andere und weitaus klarer: Der Prozess der Arisierung („Entjudung“ wurde dies in der Zeit genannt) war, anders als bei Kauf des Wohnhauses durch den VbK, mit dem Ziel gemacht worden, jüdische Gewerbebetriebe zu enteignen, und dafür wurden „arische“ Käufer gesucht, die nach Möglichkeit den Gesamtkomplex und nicht nur Teile davon übernehmen sollten und wollten. Dass, wie im Falle von Walter Koch, dabei auch noch Devisen (englische Pfund) in die deutsche Kriegskasse kamen, war keineswegs von Nachteil, ganz im Gegenteil. Und dass Walter Koch und sein bislang unbekannter Bruder in England zu diesem Zeitpunkt und kurz vor dem Krieg nicht wohlgelitten waren, hatte schon die deutsche Handelskammer in London bestätigt (siehe oben Teil 6). Wären sie mit ihrem Geld bis nach Kriegsausbruch September 1939 in England geblieben, wäre nicht nur ihr Geldtransfer nach Deutschland unmöglich geworden, sondern sie wären vermutlich auch als „Alien enemies“ in England interniert worden.

Walter Koch hatte im Übrigen „vorgesorgt“: Noch bevor Klagen der Familie Fürstenberg 1949 aktenkundig wurde, hatte in seinem Auftrag ein Wirtschaftsprüfer namens Dr. habil. Waldemar Koch, Berlin (Bayrische Straße 6), am 26. Juni 1948 ein 61-Seiten langes Gutachten (nebst 48 Seiten Dokumentenanhang) erstellt (53), in dem all die Argumente, die auch später im Wiedergutmachungsverfahren aufgefahren werden, bereits prophylaktisch und im Sinne des Walter Koch abgehandelt werden. Dieses Gutachten spielt allerdings im späteren Prozess kaum keine Rolle, nicht zuletzt, weil es ein Parteiengutachten war, das zwei Jahre vor Prozessbeginn erstellt wurde – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. 

Ohne auch nur die Vorgeschichte der Firma Reiwinkel in Betracht zu ziehen, widerspricht RA Reuss dem Rückerstattungsanspruch (am 27. Oktober 1950): „Es ist schlechterdings unerfindlich, wie dieser Rückerstattungsanspruch begründet sein sollte. Das Unternehmen in „Firma Reiwinkel ‚Das Haus für Geschenke‘ Reisse & Grawinkel K.G.“ war zu keiner Zeit Bestandteil des Vermögens der Antragsteller oder ihrer Rechtsvorgänger. Daher kann es sich hierbei auch nicht um ihnen entzogenes Vermögen‘ handeln, das ihnen zurückzuerstatten wäre. Was einem Antragsteller niemals gehört hat, kann ihm weder ‚entzogen‘ worden sein noch ‚zurückerstattet‘ werden“ (54, Bl. 5-7) – blauäugiger geht es kaum.

Ein dubioser Charakter: Walter Koch

Sein Mandant, Walter Koch, befand sich zu diesem Zeitpunkt in Wildbad/Schwarzwald (Eiberg 1), aber dem Anwalt lag natürlich das Gutachten Koch (53) vor. Auf dessen Basis behauptete RA Reuss in einem 30-seitigen Schriftsatz vom 24. Oktober 1950 (55, Bl. 111-125) unter anderem, dass er gemäß den Vorschriften des Militärgesetzes Nr. 59 (56) belegen kann, dass die Fürstenbergs einen angemessenen Kaufpreis erhalten haben, dass sie darüber frei verfügen konnten, und dass Walter Koch „in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen“ der Fürstenbergs wahrgenommen hat, insbesondere durch Mitwirkung bei der Übertragung ihres Vermögens ins Ausland (55, Bl. 112f). Ferner wird behauptet, dass die Übernahme der Firma Rosenhain durch Koch und zwei Kompagnons im Jahre 1938 ein reines Verlustgeschäft gewesen sei: Statt den 57.000 britischen Pfund, die 1938 einem Devisenwert von etwa 2,5 Millionen Reichsmark (RM) entsprachen, hätte Koch in das Geschäft – direkt und indirekt – rund 6 Millionen RM investiert (55, Bl. 114); dem ständen übertragene Sachwerte in Höhe von netto 4,3 Mio. RM gegenüber. Auch hätte Walter Koch in England mit den investierten 57.000 Pfund weit mehr Profit machen können, hätte er die Aktien nicht verkauft, und die übernommene Firma Rosenhain habe im Übrigen in den Jahren zuvor nur Verluste eingefahren – daher, so der Tenor, habe er den Fürstenbergs, die sich schließlich an ihn gewandt hatte, eigentlich nur einen Gefallen getan mit der Übernahme der Firma. Dass ihnen das Geld nicht ausgezahlt worden sei, sei schließlich eine Angelegenheit der deutschen Behörden gewesen: rückständige Steuerzahlungen einerseits, Verhinderung von Geldtransfer ins Ausland andererseits, jenseits von politisch motivierten Strafzahlungen für Juden wie der Reichsfluchtsteuer und den sogenannten „Sühnezahlungen“ nach der Reichspogromnacht – dafür sei Koch nicht verantwortlich zu machen. RA Tovote hatte dieser Argumentation zuvor widersprochen (55, Bl. 78-110), führte die monatlichen Mieteinahmen der Augsburger Straße 34 an und die Gewinne von Rosenhain, die Steuerpflichten von Rosenhain, und korrigierte Angaben zum Verlauf der Gespräche und Transaktionen 1938, zur Übernahme der holländischen Firma Reveillon 1942 und vieles mehr. 

Die Rückübertragung und die Rücknahme der Rückübertragung

Die Argumentation von RA Reuss verfing bei Gericht nicht, und es deutete sich früh an, dass das Kammergericht, im Hinblick auf das Grundstück Augsburger Straße 34, eine Teilentscheidung (Rückübertragung) für möglich hielt. Auf diesem Grundstück stand ein nicht-beschädigtes Wohnhaus, das bis zu diesem Zeitpunkt auch Mieteinnahmen hatte und einen Grundwert vom 110.000 RM. Mit Datum vom 7. November 1950 erließ die Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Berlin eine Teilentscheidung über eine Rückübertragung des Grundstücks unabhängig von Fragen in der Hauptsache mit sofortiger Wirkung (55, Bl. 141). Die Umschreibung im Grundbuch auf die Familie Fürstenberg wurde angeordnet, die dort eingetragene Hypothek blieb bestehen. In einer Ergänzung zum Urteil notierte der vorsitzende Richter, dass RA Tovote zusätzliche Urkunden und Abschriften in einer „grünen Sammelmappe“ zu den Akten gegeben habe (55, Bl. 142) .

In einer ausführlichen Stellungnahme mit sofortiger Beschwerde gegen dieses Urteil machte Kochs Rechtsanwalt Reuss erheblich verfahrensrechtliche Bedenken, unter anderem im Hinblick auf die „grüne Mappe“ geltend (55, Bl. 177ff), die dem Gericht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung überreicht worden sei (55, Bl. 180). Diese Argumentation veranlasst das Gericht, den Beschluss mit Datum vom 20. Mai 1952 wieder zurückzunehmen (55, Bl. 260) und in der Hauptsache weiter zu verhandeln.

In der Hauptsache (55, Bl. 260-277; 56; 57) ging es dann um zwei Argumentationslinien: Zum einen um die Frage, ob und warum die Fürstenberg Familie kein Geld aus dem von Koch bezahlten Kaufpreis bekommen habe, sondern dieser von den deutschen Finanzbehörden einbehalten worden war. Zum anderen darum, ob Koch dieses Kaufgeschäft guten Glaubens abgeschlossen habe (so, wie vermeintlich der VbK) oder ob er in Kenntnis der Zwangslage der Familie Fürstenberg gehandelt habe. Beide Parteien nutzen die wenigen Gerichtstermine ausgiebig, entweder die vielen dokumentarischen Belege aus der Arisierungsgeschichte 1938 (s. oben, Teil 6) zu präsentieren (RA Tovote), oder die finanzpolitischen und ökonomischen Implikationen des Erwerbs 1938 zu diskutieren, mit Gutachten von Bank- und Finanzexperten (RA Reuss, dem inzwischen weiterer Rechtsanwälte zur Seite standen, RAe Osthoff und Rapp aus Bielefeld).

Da uns über die persönliche Situation des Walter Koch bislang wenig bekannt ist, und Gerichtsakten diesbezüglich kaum Informationen enthalten, sind wir an dieser Stelle in dieser Frage auf wenige Vermutungen angewiesen. Dazu gehört die oben angeführte Behauptung, dass die Gebrüder Koch ihr in England angelegtes Vermögen im Deutschen Reich in Sicherheit bringen wollten; dazu gehört auch, dass Walter Koch, der in den Arisierungsakte bis 1938 mit einer vagen englischen Adresse (Fulmer, England) auftrat, zwar ausweislich der Akten immer wieder betonte, in England bleiben zu wollen, der aber – da deutscher Herkunft – nach dem Kauf nicht nach England zurückkehrte, sondern seinen Wohnsitz in Berlin nahm. Die wenigen biografischen Informationen, die wir bis heute erhaben sammeln können, sprechen ebenso dafür.

Die finale Entscheidung der Kammer zur Rückerstattung (55, Bl. 260ff) wurde vom Obersten Restitutionsgericht Berlin (ORG) (56, Bl. 12-23) am 13. Juli 1955 bestätigt, aber auch korrigiert: Die Rückerstattung habe an die wieder existierte frühere Eigentümerin des streitigen Grundstücks, die Wohnstätte Kurfürstendamm AG zu erfolgen und nicht an die derzeitigen Mitglieder der Familie Fürstenberg (56, Bl. 23).

Auch hier wird hinter verschlossenen Türen verhandelt

Wie im Prozess gegen den VbK wird auch im Prozess gegen Walter Koch parallel zum Gerichtsverfahren quasi „privat“ weiterverhandelt (43: Bl. 163), und auch hier kommt es überraschend und im letzten Moment zu einem Vergleich, den die Parteien am 6. November 1957 dem Gericht zur Kenntnis geben (57, Bl. 117-119). 

Danach zahlte Walter Koch der Familie Fürstenberg den Betrag von 1.095,800 DM, im Gegenzug verzichtete die Familie Fürstenberg auf alle Ansprüche auf Rückübertragung der Grundstücke Kurfürstendamm, auf Erstattung der Mieteinnahmen, und bestätigte die Löschung der Rückübertragung Augsburger Str. 34. Ansprüche auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz verblieben bei den Fürstenbergs, Treuhänderguthaben aus den drei Grundstücken verblieben bei Walter Koch.

Ende gut – Alles gut?

Im nächsten und letzten Teil der Geschichte werden wir uns mit der Frage auseinandersetzen, ob dies nun ein gutes oder ein nicht-so-gutes Ende der Geschichte des Hauses Fürstenberg am Lützowplatz ist.

Literatur

49: Akte des Landesarchivs Berlin (LAB): B Rep. 025-06 Nr. 616/51

50: LAB: A Rep 342-02 Nr. 21057,21058

51. LAB: A Rep 342-02 Nr 21056

52. LAB: A Rep 342-02 Nr. 21059, 21061

53. LAB: B Rep 025-04 Nr. 482/49 (4)

54. LAB: B Rep 025-06 Nr. 891/50 

55. LAB: B Rep 025-04 Nr. 482/49 (2)

56. https://de.wikipedia.org/wiki/Militärregierungsgesetz_Nr._59

57. LAB: Akte B Rep 025-06 Nr. 482/49 (3)

Das Haus Fürstenberg am Lützowplatz – 8

Im Wiedergutmachungsverfahren Fürstenberg gegen den Verein Berliner Künstler (VbK) wurden die Angehörigen der Familie Fürstenberg durch den Rechtsanwalt (RA) Hans-Georg Tovote, Berlin vertreten, der ihr Familienanwalt bereits vor dem Krieg war und der auch der Testamentsvollstrecker für das Testament von Gustav Fürstenberg war (siehe Teil 6). Der VbK hatte dem Rechtsanwalt (RA) Georg Graul aus Berlin Vollmacht gegeben, seine Angelegenheit zu vertreten.

Runde Eins: Der Ton macht die Musik

Den Auftakt machte RA Tovote in seinem Schriftsatz vom 18. Juli 1950, in der er den VbK als „Rechtsnachfolger eines Nazi-Vereins gleichen Namens“ titulierte (41, Bl. 37). Das hat den vermutlich geschmerzt, weil es nicht der Nachfolger, sondern der gleiche Verein war, den es schon seit 1841 gab (siehe Teil 7); der befand sich aber zumindest seit 1938 fest in der Hand der Nationalsozialisten (39). Der Verweis auf die letzte große Ausstellung des Juden Max Liebermann im Jahre 1927, mit dem RA Graul den Vorwurf zurückwies, half da wenig, Legitimation herzustellen (41, Bl. 90). Stattdessen stilisierte sich Graul selbst als „Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahme“ (41, Bl. 87) und bezweifelte gleichzeitig, dass die Fürstenbergs sich 1938 in einer Zwangslage befunden hätten. 

Dem Prinzip nach war alles strittig, was die Fürstenbergs im Wiedergutmachungsverfahren ab 1948 – zehn Jahre nach ihrer faktischen Enteignung – vorbrachten, vielleicht mit Ausnahme des für das Haus bezahlten Kaufbetrages von 370.000 Reichsmark: dass der Verkauf unter Zwang für die Familie stattfand, dass der Kaufpreis unangemessen war, und dass die Familie Fürstenberg dieses Geld nie erhalten habe. Im Originalton des Anwaltes klang das so: „Inwieweit der Grundstücksverkäufer sich wirklich in einer Zwangslage befunden hat oder sich in einer solchen glaubte, kann – und konnte damals – der Verein nicht übersehen. Dem Verein gegenüber ist jedenfalls diese Zwangslage vom Verkäufer selbst durch eine freiwillige Handlung des Verkaufes unterbrochen worden, indem er nicht etwa einen Käufer an sich herantreten ließ, sondern durch einen Makler dem Verein das Grundstück von sich aus zum Kaufe anbot“ (41, Bl. 88). Mit anderen Worten: Echte Opfer verhalten sich passiv, wer sein Schicksal in die eigene Hand nimmt, verliert die Glaubwürdigkeit.

Im Prinzip verfolgen Rechtsanwälte keine eigenen Interessen (jenseits ihrer Gebührenordnung, die sich über den Streitwert bestimmt), sondern drücken mit ihrer Position die Ansicht ihrer Mandanten aus. In den wenigen Unterlagen des VbK, die wir dazu einsehen konnten, findet sich daher der gleiche aggressive Ton, z.B. in dem oben erwähnten Bericht des Vereinsvorsitzenden Arthur Hoffmann an die Mitglieder von 1956 („… da die Gegner behaupten, keinen Pfennig erhalten zu haben, da der Kaufpreis seinerzeit auf ein Sperrkonto gezahlt werden mußte …“) (37).

Interessant ist, dass die Parteien jenseits ihres Gerichtsstreites immer auch parallel direkt miteinander verhandelt hatten und dies den Akten nicht zu entnehmen ist, solange kein Vergleichsvorschlag zu Protokoll gegeben wird. Ein erster solcher Vergleich wurde gerichtsprotokolliert am 7. November 1950, wonach der VbK der Familie Fürstenberg eine Zahlung von 40.000 DM als Nutzungsentschädigung für die Zeit 1938 bis 1943 anbot, um endgültig Eigentümer zu werden – dies nahmen die Fürstenbergs nicht an. In einem privaten Gegenangebot sollte der VbK noch 100.000 DM an die Familie zahlen, um Mitbesitzer des Hauses zu werden – dies lehnt der VbK ab, nachdem klar wurde, dass dies – trotz Zahlung – auch den Verlust des Gebäudes bedeutete (37). Die Parteien erklärten am 19. September 1952 den Vergleich für gescheitert (41, Bl. 130), und die Verhandlungen gingen in die zweite Runde.

Runde Zwei: Alles ist strittig

Strittig aufgearbeitet werden mussten zunächst die Enteignungsdaten von 1938 und finanziellen Regelungen, mit denen das Deutsche Reich sich des Vermögens der Fürstenberg bemächtigt hatte – bis hin zur Frage, ob über den Kaufpreis überhaupt verfügt werden konnte. Dazu legten die Fürstenbergs viele im Arisierungsverfahren angefallenen Dokumente, Verträge und Verordnungen vor, die – mit Sicherheit – dem VbK zu diesem Zeitpunkt erstmals zu Gesicht kamen.

Als das 1953 Gericht erwog, im Rahmen eines Teilbeschlusses eine Rückübertragung des Grundstücks anzuordnen, legte RA Graul letztmalig eine Stellungnahme vor, in der der das Gericht auf die Notwendigkeit eines „gerechten Ausgleichs“ zwischen den Antragsparteien hingewiesen wurde (42, Bl. 133ff) – offenbar war er selbst nicht in der Lage, dies zwischen den Parteien zu vermitteln. Stattdessen trat ein neuer Anwalt, Dr. Walter Fuhrmann, Berlin auf den Plan (42, Bl. 139), der die weitere Vertretung des VbK übernahm (12. November 1953). RA Fuhrmann verwies unmittelbar auf die vergleichbare Situation der Antragsteller Fürstenberg im parallelen Prozess Fürstenberg gegen Walter Koch (s. unten, WGA-2), bei dem eine Teilentscheidung des Kammergerichts über einer Rückübertragung des Grundstücks Augsburgerstraße 34 im Mai 1952 wieder rückgängig gemacht wurde (43, Bl. 260) und warnte davor, RA Tovote argumentierte dagegen und nannte die Rückerstattungspflicht „absolut entscheidungsreif“ (41, Bl. 166). 

Runde Drei: Sanierung oder Abriss nach dem Krieg

Als die Wohnungen im Hause Lützowplatz 9 im Jahr 1954 baupolizeilich gesperrt wurden (41, Bl 174), forderte RA Tovote am 19. Mai 1954 Ortstermin, Sachverständigengutachten und wegen „Gefahr im Verzug“ eine Änderung der Hausverwaltung. Der Ortstermin unter Beteiligung des Architekten Prof. Sagrekow am 10. Juni 1954 ergab hingegen nur einen gesperrten Raum, ansonsten unfertiger Umbauzustand, und die Parteien einigten sich auf erneute Vergleichsverhandlungen. 

Strittig war nach wie vor der Zustand des Gebäudes nach den Bombardierungen 1943, der Grad der Zerstörung und der Aufwand, der zur Nutzung des Gebäudes als Ausstellungsraum betrieben wurde – allein über diese Kosten gibt es fünf Verfahrensbeiakten (44). Es wurden Gutachten zum Bauzustand 1945 eingeholt, die zum Ergebnis kamen, dass die Zerstörung mehr als 60 bzw. „nur“ 44% betrugen – der Unterschied bedeutete Abriss oder Sanierung (45, Bl. 224) (Bild 40). Es wurden unterschiedliche, alte und aktuelle Verkehrswerte des Grundstücks berechnet und vorgetragen (weniger als 150.000 DM versus 210.000 DM und mehr), entstandene Schäden während des Krieges (45, Bl. 291) und die getätigten Auswendungen des VbK vor Ort begutachtet (46, Bl. 58ff), argumentiert, inwieweit sie werterhaltend oder wertsteigernd waren, getrennt nach Kosten in Reichsmark während des Krieges, und vor und nach der Währungsreform 1948 sowie gegenwärtig (1953).

In der Wahrnehmung des VbK (37) hatte der Verein das Gebäude (bei mehr als 60% Zerstörung) entgegen der Vernunft vor dem Abriss gerettet, daher müsse ihm, bei Rückgabe an die Familie Fürstenberg, diese Kosten erstattet werden, ebenso die Ablösung einer Hypothek.

Bild 40: Selbst Bilder sind nicht immer objektiv, sondern können zugunsten der einen oder der anderen Position herangezogen werden. Das linke Bild (aus: 37) zeigt das Haus und seine Zerstörung nach Kriegsende 1945, und man hat den Eindruck, dass hier nur Abriss hilft. Das rechte Bild (aus: 48) zeigt das Haus nach Räumung des Schutts, vermutlich also Anfang der 50er Jahre und vermittelt den Eindruck einer Beschädigung, die man reparieren kann – was ja dann letztlich auch passiert ist.

Das Finale: Der Vergleich

Gemessen an der gerichtlichen Auseinandersetzung in den drei Phasen, die wir oben berichtet, hätten wir erwartet, dass der Vergleich ein Kompromiss zwischen den Parteien ist; leider haben wir keine Dokumente, die den „privaten“ Verhandlungsprozess zwischen den Parteien dokumentieren. Unabhängig davon entschied das Landgericht am 6. November 1959 nach mündlicher Verhandlung am 28. September und präsentierte eine Teilentscheidung (47, Bl. 11ff) – zu diesem Zeitpunkt hatte der VbK offenbar einen neuen, dritten Rechtsvertreter bestellt, RA Dr. Gregor, Berlin.

Danach wurde die VbK verurteilt, das Grundstück Lützowplatz 9 sowie das 501qm große Zwischenstück (siehe oben, Teil 7) zurückzuerstatten (d.h. die Grundstücke mussten im Grundbuch umgeschrieben werden), und etwaige Kriegssachschädenersatzansprüche und Lastenausgleichsansprüche abzutreten. Eine bestehende Hypothek auf dem Grundstück bleibe bestehen und würde der Familie Fürstenberg als Gesamtschuldner übertragen. Außerdem müsse sie dem VbK Kosten in Höhe von 77.700 DM zzgl. 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1960 zahlen. Dazu solle eine Hypothekenlast in gleicher Höhe auf dem Grundstück eingetragen werden. Weiterhin wurden die Fürstenbergs verurteilt, dem VbK alle Rückerstattung- und Entschädigungsansprüche abzutreten, wenn in entsprechenden Verfahren festgestellt wird, dass solche Ansprüche bestehen. Und jetzt erst kam es zum Vergleich.

Der Vergleich

Die Rechtsanwälte Tovote und Gregor formulierten in einem Eilbrief (41, Bl. 167) am 15. November 1960 an das Kammergericht: Der VbK wolle das Grundstück vorbehaltlich eines Vergleiches weiterveräußern an den Förderkreis Kulturzentrum Berlin e.V., der 1960 zu diesem Zweck von Berliner Sozialdemokraten unter Leitung von Willy Brandt (1913-1992) gegründet worden war (48); man bitte um einen Vergleichstermin beim Kammergericht. Dort verzichteten die Fürstenbergs auf ihren Rückerstattungsanspruch und auf die Rechte aus dem Beschluss vom 28. September 1959 auf das Grundstück Lützowplatz 9, übertrugen das Eigentumsrecht daran und an die 501qm großen Parzelle an den „Förderkreis Kulturzentrum Berlin e.V.“, der das Grundstück Lützowplatz 9 vom VbK erwerben wollte. Im Gegenzug zahlte der VbK an die Familienmitglieder Fürstenberg den Betrag von 100.000 DM. Etwaige Lastenausgleichsansprüche verblieben beim VbK, Ansprüche aus dem Bundesentschädigungsgesetz (wegen der Nicht-Verfügbarkeit des Kaufpreises von 370.000 RM im Jahr 1938) verblieben bei der Familie Fürstenberg.

Der Verkaufsvertrag zwischen dem VbK und dem Förderverein vom 22. November 1960 (45, Bl. 435) sah einen Kaufpreis von 271.507,88 DM vor, davon sollten 100.000 DM an die Familie Fürstenberg überwiesen werden, der Förderverein übernahm die eingetragene Grundschuld von insgesamt 42.000 DM, die verbleibenden 128.000 sollten an den VbK überwiesen werden.

Literatur

Vorbemerkung: Es gibt im Landesarchiv Berlin insgesamt über 30 Akten in den Wiedergutmachungsverfahren der Familie Fürstenberg, mit insgesamt weit über 1500 Blatt, die dieser Auswertung zugrunde liegen. Der Verweis auf einzelne Aktenseiten wird dadurch erschwert, dass viele dieser Akten die gleiche Archiv-Nummerierung tragen (z.B. B Rep. 025-05 Nr. 204/49), die aber oft unterschiedlichen Gerichtsprozess-Akten zugewiesen wurde (z.B. Beiakte 1 bis 10.). Innerhalb einer Akte sind die Seiten nummeriert. Die Zitation erfolgt daher mit Angabe der Seitennummerierung im Text (z.B. 41, Bl. 167)

41. Akte B Rep 025-05 Nr. 204/49 (1)

42. Akte B Rep 025-05 Nr. 204/49 (2)

43. Akte B Rep 025-04 Nr. 482/49 (1) 

44. Akte B Rep 025-04 Nr. 482/49 (5) bis (10)

45. Akte B Rep 025/05 Nr. 204/49 (3)

46. Akte B Rep 025-05 Nr. 204/49 (2)

47. Akte B Rep 025-05 Nr. 5723/5048.

48. https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_am_Lützowplatz