Das Auktionshaus Paul Graupe, Lützowstraße 38

Ein Beitrag, gemeinsam mit Marc-Thomas Bock

Schon lange vor dem Münchener Fund der Sammlung Gurlitt im Jahr 2012 standen Fragen zur Herkunft von geraubten Kunstwerken und eventuell relevanter Restitutionsansprüche im Fokus der Provenienzforschung. Die Dimension der von den Nazis ab 1933 betriebenen Enteignung von in jüdischem Besitz befindlicher Kunst ist auch heute noch keineswegs in Gänze erfasst und deshalb auch wichtiger Teil der gegenwärtigen Holocaust-Forschung. Dabei vollzog sich dieser Diebstahl auf sehr viel subtileren Wegen, als es das Wort „Raub“ beschreiben könnte.

Bild 1: Buchtitel zu Paul Graupe im Böhlau-Verlag 2016.

Ein jüdisches Schicksal aus dem Berliner Tiergarten macht dies besonders deutlich: Im Jahre 1907 hatte der 1881 in Neutrebbin im Oderbruch geborene Paul Graupe (Bild 1) als gelernter Buchhändler ein Antiquariat in der Kochstraße 3 in Kreuzberg eröffnet. Schon bald mussten größere Räumlichkeiten gefunden werden. Im Jahre 1911 dann zog das „Antiquariat Paul Graupe“ in die Lützowstraße 38 (Bild 2), wo in den Jahren bis 1927 bedeutende Kunstsammlungen und Privatbibliotheken versteigert wurden (1).

Bild 2: Foto des Haus Lützowstrasse 38 im Jahr 1939: Links das inzwischen von einem anderen Antiquar (Hans Linz) betriebene Geschäft, rechts vom Eingang eine Installationsfirma (Oscar Schroeler), dazwischen, wo auf dem Foto 1939 ein Optik- und Fotogeschäft war, lag 1927 ein Weinlokal (aus: Bauakte im Landesarchiv (3)).

Bis 1922 wohnte Paul Graupe in der Lützowstraße 38, im ersten Stock oberhalb seines Geschäftes, wo auch die Versteigerungen stattfanden, in einem sogenannten „Berliner Zimmer“, zwei durch eine Schiebetür verbundene große Wohnzimmer. Der Grafiker Emil Orlik (1870-1932) hat diese sehr beengte Situation eindrucksvoll dargestellt (Bild 3). Dann war offenbar diese Enge für die wachsende Familie zu groß, ab 1923 und bis 1926 wohnte Paul Graupe mit Frau und Sohn in der Genthiner Straße 28 (Bild 4). Es ist unklar, ob die Wohnung oberhalb der Verkaufsräume für Auktionszwecke beibehalten wurde; vermutlich ja, da nicht nur das Orlik-Bild von 1922 dies zeigt, sondern auch die Biographie der Sohnes des Berliner Galeristen Gustav Nebehay (1881-1935), Christian M. Nebehay (1909-2003) daran erinnert (2). Im Jahr 1926 zog die Familie um in die Hubertusallee 42-44, während das Antiquariat noch ein Jahr in der Lützowstraße verblieb. Die im Grunewald gemietete Wohnung war bekannt für ausschweifende Festlichkeiten mit bis zu 150 Personen (2).

Bild 3: Plakat einer Kunstauktion des Antiquariat Paul Graupe 1922 nach einer Lithografie von Emil Orlik (aus: Wikipedia, gemeinfrei).
Bild 4: Einträge der Familie von Paul Graupe im Adressbuch von Berlin zwischen 1908 und 1937.

Im Jahre 1917 hatte Paul Graupe die Katharina (Käthe, Kate) Florentine Henriette Joske (1889-1945) geheiratet, die in erster Ehe seit 1913 mit Georg Cohen verheiratet gewesen war; diese Ehe war am 12. Januar 1917 geschieden worden. Aus der Ehe von Paul und Katharina Graupe entstammte das einzige Kind der Familie, Thomas Peter Graupe, geboren am 19. Juni 1920 in Berlin. Der emigrierte nach Großbritannien und nannte sich Grange nannte; von dort beantragte er in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts Wiedergutmachung. Er starb am 15. Januar 1978 in London.

Aus assimiliertem Judentum entstammend, hatte Paul Graupe nach seiner Lehre in fünf Buchhandlungen von Kiel bis München gearbeitet, hatte Netzwerke geknüpft und durch Fleiß und Zuverlässigkeit das Vertrauen einflussreicher, durchaus nicht nur jüdisch-stämmiger Sammler sowie Kunst-und Buchhändler erworben. Noch in der Lützowstraße verlegte sich sein Schwerpunkt zunehmend auf die Tätigkeit des Kunst-Auktionators. Hier versteigerte er 1925 aufsehenerregende Werke junger aufstrebender Künstler wie Picasso oder Chagall. Immer wieder jedoch nahm er ganze Bibliotheken in Konzession und verkaufte beziehungsweise versteigerte wertvolle, in der Frühzeit des Buchdrucks gedruckte Werke und Erstausgaben.

Bild 5: Grundriss des Erdgeschosses Lützowstraße 38 (aus: Bauakte im Landesarchiv (3)).

Der Umzug des Antiquariats bzw. des Auktionshauses in die Tiergartenstraße 4 erfolgte 1927 nach einem Brand in der Lützowstraße 38: Zwischen dem Antiquariat links und dem Installateur auf der rechten Seite des Hauses lag – links vom Eingang – seinerzeit ein Weinrestaurant (Bild 5), dessen Küche im Keller untergebracht war. Als es dort im Januar 1927 zu einem begrenzten Brand gekommen war, stellte heraus, dass diese Küche ohne Betriebserlaubnis genutzt worden war. Um der Hauseigentümerin die Mietennahmen aus Restaurant weiterhin zu sichern, wurde der Mietvertrag mit Paul Graupe zum 1. Oktober 1931 gekündigt, da im Antiquariat eine entsprechende Erlaubnis zur Einrichtung einer Küche vorhanden war (3). Paul Graupe mietete stattdessen das Obergeschoß der Villa Tiergartenstraße 4 (Bild 6), die zu diesem Zeitpunkt den Liebermann´schen Erben gehörte: Der frühere Besitzer, der geheime Kommerzienrat Georg Liebermann (1844-1926), ein Bruder von Max Liebermann (1847-1935), war 1926 verstorben, hatte aber bereits zu Lebzeiten (ab 1925) an den Antiquar Hermann Ball und dessen Söhne Alexander und Richard aus Dresden vermietet. Als Paul Graupe daher 1927 in die Villa Tiergartenstraße 4 umzog, verlegte er damit nicht nur seinen Arbeitsmittelpunkt in das Zentrum der Berliner Kunstsammler und Kunstgalerien, während die meisten freischaffenden Künstler weiterhin im Lützow-Viertel südlich des Landwehrkanals lebten und arbeiteten (4). Gleichzeitig ging er mit dem Antiquariat Hermann Ball eine für beide Seiten lukrative Geschäftsverbindung ein.

Das Auktionshaus Graupe und die Firma Ball & Graupe waren in jenen Jahren nicht nur für die Versteigerung umfangreicher Privatsammlungen berühmt, sondern auch und vor allem für ihre erstklassigen und aufwändig gestalteten Kataloge bekannt: Im Heidelberger Universitätsarchiv sind diese mehr als 150 Graupe-Kataloge und über 20 Ball & Graupe-Kataloge archiviert und digital zugänglich (5), die heute mehr denn je als Forschungsgrundlage für Provenienz- und Restitutionsverfahren von geraubter Kunst dienen können. Im Tiergartenviertel kamen unschätzbare Kunstwerke wie etwa aus den Sammlungen des Erich Baron von Goldschmidt-Rothschild im März 1931 unter den Auktionshammer. Der Umzug im Jahr 1932 in die Bellevuestraße 3, in direkter Nachbarschaft zum Haus der Kunst des Vereins Berliner Künstler, erlaubte es dem Auktionshaus, die Räumlichkeiten des VBK für Ausstellungen und Auktionen zu nutzen; dies allerdings nur für kurze Zeit, da der VBK bereits ein Jahr später in die Tiergartenstraße 2 umzog (siehe JUELE vom 26. September 2023).

Bild 6: Villa in der Tiergartenstraße 4, die 1927 den Liebermann´schen Erben gehörte. Die Villa wurde 1935 von der NSDAP gemietet und 1940 gekauft und ging dann als „T4“ und Brutstätte des NS-„Euthanasie“-Programms in die Geschichte ein (Foto: https://war-documentary.info/tiergartenstrasse-4-in-berlin/)

Mit der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 waren nun auch jüdische Antiquare, Sammler, Kunsthändler und Auktionshäuser akut von Repressalien betroffen. Nach dem  Umzug 1932 begann Paul Graupe mit Versteigerungen der Bestände von in Bedrängnis geratenen jüdischen Berufskollegen, so die Sammlung des Kaufmannes Max Silberberg. Die schon seit 1931 bestehende „Reichsfluchtsteuer“ (6) sollte es Wohlhabenden schwer machen, Kapital oder Wertbesitz unversteuert ins Ausland zu verbringen. Nun wurde die Steuer in ein antisemitisches Rechtsmittel umgewandelt, um den von immer stärkeren Repressalien betroffenen Juden möglichst viel Vermögen abzupressen. Das betraf zunehmend auch bis dahin reichsweit bekannte und geachtete Kunsthändler und Sammler wie Walter Feilchenfeld, Herbert Guttman, Alfred Flechtheim, oder die Hamburgerin Emma Budge.

Im Gegensatz zu vielen anderen jüdischen Kunsthändlern gelang es Paul Graupe jedoch zunächst, eine Sondererlaubnis als Auktionator von der Reichskammer der Bildenden Künste zu erhalten. Die Gründe, weshalb ihm diese zugestanden wurde und wie er sein Privileg nutzte, sind nach seinem Tode diskutiert worden. Zum einen trugen sein Prestige und sein unbescholtener Ruf dazu bei, dass sich bedrängte Juden vertrauensvoll an ihn wandten, um von ihm die nun schon dringend zur Ausreise benötigten Barmittel zu erhalten und sich so ins Ausland zu retten. Der Großteil der Auktionserlöse wurde durch Zuschläge von Graupes langjährigen und Valuta-zahlenden Interessenten aus dem westlichen Ausland und Übersee bestritten. Zum anderen hatte Graupe die so gewonnenen Devisenbeträge abzüglich seiner eigenen Konzession und einem Bruchteil des Wertes für die Besitzer der Kunstwerke an die Nazis abzuführen. Die um ihre Besitztümer geprellten Kunstsammler, aber auch ehemalige, jetzt mit Berufsverbot belegte Konkurrenten Graupes, waren so in der Lage, wenigstens das Geld für die Flucht und die Kosten für die Visabeschaffung aufzubringen.

Doch schließlich kam auch für Paul Graupe das Aus: Er musste sein Geschäft 1937 „arisieren“ und übertrug die Führung an seinen langjährigen Mitarbeiter Hans W. Lange. Die letzte Auktion unter seinem Namen fand im Oktober 1936 statt. Nach seinem Ausschluss aus der Reichskulturkammer floh er 1937 über die Schweiz nach Paris, nachdem er bereits zuvor in Berlin einen neuen Kunsthandel – die Firma „Paul Graupe & Cie., Paris “ – gegründet hatte. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 musste er weiter nach New York flüchten. Dort verstarb seine Frau Katharina (Kate) am 5. Januar 1945. Nach dem Krieg kehrte Paul Graupe nach Paris zurück und begann, dem Verbleib seiner Kunstbestände nachzuforschen. Schwer erkrankt, verstarb er während eines Klinikaufenthaltes 1953 in Baden-Baden.

Literatur

1. P. Golenia. K. Kratz-Kessemeier, I. Le Masne de Chermont: Paul Graupe (1881-1953). Ein Berliner Kunsthändler zwischen Republik, Nationalsozialismus und Exil. Böhlau Verlag Köln 2016.

2. Christan M. Neberhay: Die goldenen Sessel meines Vaters Gustav Nebehay (1881-1935), Antiquar und Kunsthändler in Leipzig, Wien und Berlin. Edition Brandstätter Wien 1983.

3. Bauakte im Landesarchiv Berlin: B Rep. 303 Nr. 4340.

4. Kunst im Lützow-Viertel: https://www.mittendran.de/spaziergang-die-vergangenheit-24-kunstsammler-kunsthaendler-und-kuenstler/

5. Heidelberger Universitätsbibliothek: https://katalog.ub.uni-heidelberg.de/cgi-bin/search.cgi

6. Reichsfluchtsteuer: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsfluchtsteuer