Auf den Spuren der afrodeutschen Familie Diek – Geschichten schwarzer Menschen in Tempelhof-Schöneberg

Im Museum Schöneberg ist bis 01. Oktober 2023 eine Sonderausstellung zu einem bisher vernachlässigten Thema zu sehen. „Auf den Spuren der Familie Diek“ schildert das Schicksal von Afrodeutschen von der Kaiserzeit über das Dritte Reich bis zur Nachkriegszeit und der heutigen Urenkel*innengeneration, die am 6. Juli 2023 (19 Uhr) an einer Podiumsdiskussion im Museum teilnehmen werden.

Liebe Leser und Leserinnen, es geht bei diesem Artikel nicht um Jüdisches Leben oder den Widerstand im Dritten Reich. Wir wollten dennoch nicht auf dieses bisher wenig beachtete Thema von Diskriminierung und Ausgrenzung der Afrodeutschen verzichten, die ihren Lebensmittelpunkt im Nachbarbezirk hatten. Zudem werden für die Entrechteten in Schöneberg diesen Sommer 29 Stolpersteine verlegt. Scrollen Sie nach unten, um die Termine sehen zu können.

Deutschland eignet sich Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Kaiser Friedrich Wilhelm II. Kolonien gewaltsam an. In diesem Zusammenhang beginnt eine Migration von Afrika nach Deutschland. Die Männer kommen oft als Missionsschüler oder Dienstleute. Die entstehende Schwarze Gemeinschaft begegnet massiver Ausgrenzung und Diskriminierung. Nach dem Sturz des Kaisers 1918 und Ende des Ersten Weltkrieges muss Deutschland seine Kolonien abtreten. Die Afrodeutschen werden staatenlos. Die Weimarer Republik fühlt sich für sie nicht verantwortlich. In der Folge entstehen selbstorganisierte Vereine, wie der Afrikanische Hilfsverein, der Petitionen bei der Nationalversammlung einreicht.

Unter der nationalsozialistischen Diktatur Adolf Hitlers mit ihren Rassegesetzen wurde es noch schlimmer: viele wurden wegen der Nürnberger Gesetze verfolgt, erhielten ab 1935 Berufsverbot, wurden zwangssterilisiert, zu Zwangsarbeit gezwungen, oder in Konzentrationslagern und Kliniken ermordet.

Die Überlebenden wurden nach Ende des Krieges weiterhin stigmatisiert und ausgegrenzt. Erst in den Jahren nach 1980 beginnt die Dokumentation dieser Zustände durch die neu entstandene Schwarze Frauenbewegung und die Diplomarbeit „Farbe bekennen“ (1986) von May Ayim (1960-1996) und Katharina Oguntoye. Die Aktivistinnen schufen die erste Überblicksdarstellung von Schwarzen Menschen in Deutschland. Hier wurde auch der Begriff „afrodeutsch“ geprägt. „Farbe bekennen“ erschien 2020 im Orlanda Verlag als Neuauflage. Als weitere Aktivistin ist in diesem Zusammenhang die us-amerikanische Schrifstellerin Audre Lorde (1934 – 1992) zu nennen, die von 1984 bis 1992 in Berlin lebte und wirkte.

Die diesjährige Sonderausstellung in Schöneberg schildert das Schicksal afrodeutscher Menschen anhand der Familie Diek aus Kamerun über vier Generationen: den Eltern Mandenga Diek und seiner Frau Emilie geb. Wiedelinski, verheiratet seit 1896, und ihren Töchtern Erika (* 1916) und Dorothea (*1920), bis hin zu den Enkel*innen Beryl Mpessa (* 1939), Marion (*1948) und Detlef Reiprich (*1951), sowie den Urenkel*innen Abenaa und Roy Adomako.

Auf dem Bild oben, das in der Ausstellung am Anfang steht, sieht man die Familie Diek stolz und selbstbewusst an einem festlich gedeckten Kaffeetisch sitzen, in Danzig in den Zwanziger Jahren. Die Töchter besuchten zu der Zeit ein Lyzeum. Der Vater war ein erfolgreicher Kaufmann geworden.

Fast 30 Jahre zuvor (1891) war Mandenga Diek mit seinem Bruder Anjo in Hamburg eingereist. Trotz etlicher widriger Umstände entschloss er sich in Deutschland zu bleiben. Durch gute Beziehungen war es ihm auch möglich, 1895 die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten und nicht nur den unsicheren Status eines „Schutzgebietsangehörigen“. Ihm wurde zunächst eine Arbeit als Schuster angeboten, wo er sich im Schaufenster einer gaffenden Menge zeigen sollte. Doch er nahm diese Stelle nicht an und schlug erfolgreich eine Laufbahn als Kaufmann ein, mit einer Großhandelsvertretung, vor allem für Zigarren. Erst in Hamburg, später in Danzig. Mandenga Diek war ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft, er galt als „deutscher als deutsch“ (so erinnerten sich seine Töchter), kaisertreu, war Mitglied im Schwimmverein und bei der Freiwilligen Feuerwehr. Doch 1939 wurde die Familie von Mandenga Diek in Danzig verfolgt, das Geschäft musste aufgegeben, die Wohnung verlassen werden.

Erika war ein Jahr zuvor (1938) die Frau von Ludwig M´bebe Mpessa (Künstlername: Louis Brody) geworden und mit ihm nach Berlin gezogen. 1939 kam Tochter Beryl zur Welt. In den Sechziger Jahren heiratete sie, bekam die Kinder Roy und Abenaa Adomako. Die Familie lebte in Schöneberg. Im Jahr 1951 ließen sich Ludwig M´bebe Mpessa und Erika scheiden. Sie schloss eine neue Ehe mit Thomas Ngambi ul Kuo.

Dorothea fand nach Abschluss der Mittelschule 1936 in Danzig keinen klassischen Beruf, nur in der Unterhaltung als Tänzerin und Schauspielerin. Ihr Schwager Louis Brody vermittelte ihr kleine Rollen. Selbst brachte sie sich daneben Kenntnisse der Stenographie bei und fand nach der Zwangsverpflichtung im Zweiten Weltkrieg Arbeit als Sekretärin bei der Tiefbaufirma Dierks in Danzig. 1945 musste Dorothea Zwangsarbeit in der Danziger Werft leisten und holte sich dort eine Tuberkulose, von der sie sich nie mehr richtig erholen konnte. Während eines Fliegerangriffs konnte sie aus der Werft entkommen und sich bei ihrer Mutter in der Wohnung verstecken. Gemeinsam flohen sie am Kriegsende nach Berlin zu Erikas Familie nach Berlin Tempelhof. Dort arbeitete Dorothea in der von ihr mitorganisierten Revue „Südseezauber“ und heiratete 1948 den Berliner Musiker Herbert Reiprich, den sie dort kennengelernt hatte. Mit ihm hatte sie zwei Kinder: Marion (1948) und Detlef Reiprich (1951). Die Reiprichs lebten in der General-Pape-Straße, ebenfalls im Bezirk Tempelhof-Schöneberg.

Dorothea und Herbert Reiprich im Jahr 1948. (Bild aus Familienbesitz)

Ein Blick auf Erika Dieks ersten Ehemann: Ludwig M´bebe Mpessa ( Foto) hatte 1915 unter dem Künstlernamen Louis Brody eine Schauspielkarriere begonnen. Im Jahr 1918 wurde er als Mitglied des Afrikanischen Hilfsvereins gelistet. Seine Adresse war zu dieser Zeit die Kurfürstenstraße 40. Bis 1933 spielte er erfolgreich in 20 Spielfilmen mit. Dennoch wurde er immer wieder in stereotype Rollen gezwungen, die ihn in exotisierender Weise zeigten und die „Unterlegenheit seiner afrikanischen Herkunft“ bestätigen sollten. Im Mai 1921 wurde er politisch aktiv und forderte, die Hetze gegen Afrodeutsche zu beenden und ihnen mit Respekt zu begegnen. 1929 gründete er die „Liga zur Verteidigung der N****-R****“. Politisch war er eng mit kommunistischen Organisationen verbunden. 1930 feierte sein selbst verfasstes Theaterstück „Sonnenaufgang im Morgenland“ in Berlin Premiere. **************************************************

Die Ausstellung im Schöneberger Museum wird mit vielen historischen Fotos und Urkunden ergänzt durch zeitgenössische Kunst von Kapwani Kiwanga und Otobong Nkanga.

Im Rahmen des Begleitprogramms wurden und werden im Jahr 2023 ganze 29 Stolpersteine verlegt:

am 08. März 2023 bereits für Erika Ngambi und Ludwig M´bebe Mpessa in der Gaudystraße 5. Beide wurden ausgegrenzt und entrechtet. Beide überlebten.

Folgende Verlegungen stehen an:

am 13. Mai 2023, 12 Uhr, in der Friedrich-Wilhelm-Str. 8, zwei Stolpersteine für Zoya-Aqua Kaufmann und ihren Sohn Hans-Joachim

am 17. Mai 2023, 16 Uhr, in der Lynaer Str. 11, zwei Stolpersteine für Ella und Friedrich Weiler

am 17. Mai 2023, 17:30 Uhr, in der Innsbrucker Str. 28, ein Stolperstein für Betty Josky

am 5. Juni 2023, 12 Uhr, in der Motzstraße 68, zwei Stolpersteine für Bassia und Leopold Basson

23. Juni 2023, sechs Verlegungen mit dem Initiator der Stolpersteinkultur, dem Künstler Gunter Demnig:

um 09:25 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Str. 19 a , zwei Steine (noch keine näheren Angaben)

10:10 Uhr in der Attilastr. 114, drei Steine

10:50 Uhr in der Blumenthalstr. 22, drei Steine

13:00 Uhr in der Homuthstraße. 7, vier Steine

13:40 Uhr in der Motzstraße. 56, zwei Steine

14:15 Uhr in der Vorbergstraße. 15, ein Stein

am 10. Juli 2023, 10 Uhr in der Berchtesgadener Str. 35, 3 Steine für Leo Lesser Cohn, Rosette Lump Cohn und Bernhard Lump

26. August 2023, 12 Uhr, in der Fuggerstr. 20, zwei Stolpersteine für Benedikt Gambé und Charlotte Rettig

Weitere Infos zum Begleitprogramm unter www.museen-tempelhof-schoeneberg

Museum Schöneberg, Hauptstraße 40/42, 10827 Berlin

E-Mail: museum@ba-ts.berlin.de

Fon: 030/ 90 277 6163

Öffnungszeiten: Mo-Do, Sa + So 14-18 Uhr, Fr 9-14 Uhr

Eintritt frei.