A. BLUMENREICH

Jüdisches Gewerbe (3)

ein Beitrag von Bethan Griffiths

Im Frühjahr 1919 etablierte das Ehepaar Arnhold und Ilse Blumenreich die „Blumenreich’s Versandhaus GmbH“. Firmen gleichen Namens gab es bereits in Budapest und in Ilses Heimatstadt Wien. Nun, kurz nach dem Chaos des Ersten Weltkriegs, wollte das Ehepaar ein weiteres ‚Versandhaus‘ in Arnholds Heimatstadt Berlin gründen.

Briefkopf für A. Blumenreich, 1938, LAB A Rep 342-02, Nr. 57521. (mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs Berlin)

Das Paar stieß jedoch sofort auf Schwierigkeiten mit der deutschen Bürokratie. Denn obwohl Arnhold in einem Brief an das Amtsgericht am 13.2.1919 darauf hinwies, dass „das Wort Versandhaus ein im Geschäftsleben üblich gewordener Begriff für Geschäfte, welche Waren im Prospekt- oder Versandwege anbieten, geworden ist, wobei der Ton natürlich nicht auf ‚Haus‘, sondern auf ‚Versand‘ liegt“, entschied die Handelskammer in einem Schreiben vom 5.3.1919, dass der Name des Geschäfts nicht zugelassen werden sollte. Die Handelskammer war dafür verantwortlich zu überprüfen, ob der gewählte Name eines Unternehmens dem Prinzip der Firmenwahrheit entsprach, wo sie sich hier dagegen entschied.[1] So beschrieb der Mitarbeiter der Handelskammer die Buchhandlung:

 „Der Unternehmer hat in Berlin keine eigentlichen Geschäftsräume, bewohnt vielmehr lediglich eine grössere Wohnung, die zugleich eine Art Kunstsalon darstellt. Er beabsichtigt billige Bücher und Broschüren usw. unmittelbar von Verlegern zu kaufen und sie dann in Mengen herstellen zu lassen und zu vertreiben. Mit der Vorbereitung dieser Pläne wird zur Zeit eine junge Dame beschäftigt. Das scheinbar in der Entstehung begriffene Unternehmen kann hiernach vielleicht die Bezeichnung „Versandgeschäft“, jedenfalls aber nicht die Bezeichnung „Versandhaus“ beanspruchen.“[2]

Deswegen wurde die Firma am 31.3.1919 als Blumenreich’s Versand Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter Nummer B 16078 im Berliner Handelsregister eingetragen. In den nächsten Jahren änderte die Firma mehrmals ihren Namen und auch die Geschäftsstelle. Zuerst wurde die Firma in A. Blumenreich Verlag und Versand GmbH umbenannt und dann im März 1921 schließlich in A. Blumenreich GmbH.

1924 befand sich das Geschäft im Blumeshof 9, während Arnhold und Ilse an der ursprünglichen Firmenadresse Schöneberger Ufer 44 wohnten. Das Geschäft zog vom Blumeshof zurück zum Schöneberger Ufer 27, dann in die Nr. 31, etwa zu der Zeit der Machtübernahme der NSDAP. Im Juni 1935 wurde die Straße umnummeriert und umbenannt, sodass das Unternehmen A. Blumenreich sich am Großadmiral-von-Köster-Ufer 57 an der Potsdamer Brücke befand.

 Exlibris für Bücherei Arnhold Blumenreich, im privaten Besitz, undatiert.

Trotz der Umbenennungen und Umzüge blieb die Buch- und Kunsthandlung 20 Jahre lang eine Konstante im Kiez. Geschäftsgegenstand war der „Vertrieb von Büchern, Bildern, Musikalien, Papier- und Galanteriewaren“.[3] Zeitungsanzeigen und Erwähnungen in Kunstzeitschriften aus dieser Zeit dokumentieren, wie die Firma nach Angeboten für „erstranginge alte und moderne Meister“ suchte oder Ausstellungen veranstaltete.[4]  Zum Beispiel wurden im Jahr 1925 Bilder von Max Liebermann, Adolph Menzel, Lovis Corinth, Lesser Ury und Theodor Hagen bei A. Blumenreich ausgestellt.[5]Noch im Februar 1936 schaltete Blumenreich eine Anzeige in Die Weltkunst mit der Meldung: „Ich kaufe Gemälde“ und einer Liste von Künstlern, deren Werke von der Kunsthandlung angekauft wurden. [6]Das Kunstgeschäft war jedoch schnell unter Druck, denn im Juli mussten jüdische Inhaber*innen von Kunsthandlungen demnächst ihre Geschäfte schließen und im Herbst hat die Reichskulturkammer die jüdischen Kunsthändler in Berlin angewiesen, „ihre Bestände schnellstmöglich zu verkaufen, da noch vor Ende des Jahres Juden der Handel mit Kunstgegenständen verboten werden soll.“[7]

Im September des Jahres wurde A. Blumenreich aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen.[8] Diese Entscheidung bezog sich auf das Reichskulturkammergesetz, das schon seit 3 Jahren existierte. Mit der „Ersten Durchführungsverordnung“ vom 1. November 1933 wurde „das Instrument geschaffen, Juden die Mitgliedschaft [zu den Kulturkammern] zu verwehren“.[9] Das Geschäft litt aber auch als Buchhandlung, denn am 12. Januar 1937 wurden alle Mitglieder der Gruppe Buchhandel in der Reichsschrifttumskammer im Gau Berlin aufgefordert, jüdische Besitzer von Buchhandlungen anzuzeigen und Unternehmen jüdischer Inhaber festzustellen, die Schrifttum aller Art vertreiben, was ihnen seit dieser „Ersten Durchführungsverordnung“ verboten war.[10] Am 9.2.1938 entschied der Präsident der Reichskulturkammer, dass „Herr A. Blumenreich als jüdischer Buchvertreiber nicht zugelassen ist.“[11]

Inzwischen hat die IHK am 3.2.1938 dem Amtsgericht mitgeteilt: „Nach unseren Ermittlungen ist der Geschäftsbetrieb am 1.10.1936 eingestellt worden, seine Wiederaufnahme wird nicht beabsichtigt; Vermögen besitzt die Gesellschaft nicht mehr …“[12]

Diese Mitteilung war jedoch falsch, denn Arnhold und Ilse Blumenreich führten trotz der antisemitischen Maßnahmen und der polizeilichen Schließung der Geschäftsräume im Jahr 1936 ihr Geschäft weiter.[13] Zwei Tage nach dem Schreiben der IHK kam der Widerspruch des Rechtsanwalts der Firma, Dr. Martin Isaac. Der kritische Ton seines Briefs ist nicht zu überlesen.

„Die Firma antwortete darauf [Fragebogen vom IHK] wahrheitsgemäß, daß ein Vermögen von ca. 10,000. – – vorhanden sei, bestehend aus Aussenständen, Bilderlager und barem Gelde. Hätte die Industrie- und Handelskammer eine ausführlichere substanziierte Beantwortung ihrer kurzen Frage gewünscht, so wäre es wohl Sache der Kammer gewesen, die Firma darauf hinzuweisen, bzw. nach Eingang des Fragebogens die Firma um Erläuterung und ev. Ergänzungen ersuchen. Stattdessen scheint die Kammer einfach dem Gericht mitgeteilt zu haben, daß das Vorhandensein von Vermögen nicht glaubhaft gemacht sei. Gegen dieses ungewöhnliche Verfahren, noch dazu in so schwerwiegenden Angelegenheiten, muß auf das Entschiedenste Protest erhoben werden.“[14]

Der Rechtsanwalt beendete sein Schreiben mit der Bemerkung, dass es zur Löschung der Firma an jeder gesetzlichen Grundlage fehlt. Zunächst sah die Lage für das Unternehmen besser aus, denn die Löschungsverfahren wurde auf ein Jahr ausgesetzt.[15] Die Firma konnte aber den antisemitischen Maßnahmen nicht mehr lange standhalten. Sehr wahrscheinlich wurde die jüdische Kunst- und Buchhandlung während der Novemberpogrome angegriffen. Arnhold schrieb am 19.12.1938:

„Inzwischen hat sich nun die Lage des Geschäftes so verschlechtert, daß die Voraussetzungen für unseren Einspruch entfallen sind. Und da ja nun ferner ab 1.1.1939 eine geschäftliche Tätigkeit nicht mehr möglich ist, ziehen wir unseren damaligen Einspruch hiermit zurück …“[16]

Die Firma wurde am 5.1.1939 aus dem Handelsregister gelöscht. Arnhold und Ilse wurden sogar aufgefordert, die Löschung beim Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels zu melden, was sie am 11.1.1939 taten. [17]

Für das Ehepaar wurde es in Berlin immer bedrohlicher. Im Mai 1939 wurde Arnhold aus unbekannten Gründen verhaftet und im Polizeigefängnis Mitte inhaftiert.[18] Er und Ilse wurden schließlich am 28.10.1942 aus ihrer Wohnung in der Solinger Str. 6 nach Theresienstadt deportiert.[19] Die furchtbaren Bedingungen des Konzentrationslagers überlebte Ilse nur ein halbes Jahr. Arnhold starb ein Jahr nach seiner Deportation.[20]

Hier geht es zum Vortrag von Bethan Griffith

Quellen:

[1] Kreutzmüller, Ausverkauf, S. 70; Vgl. Brief von Blumenreich an das Amtsgericht Berlin, 13.2.1919, LAB A Rep. 342-02, Nr. 57521.

[2] Brief von Handelskammer Berlin an das Amtsgericht, 5.3.1919, LAB A Rep. 342-02, Nr. 57521.

[3] Gesellschaftsvertrag Blumenreich’s Versandhaus GmbH., 27.1.1919, LAB A Rep. 342-02, Nr. 57521.

[4] Anzeige aus Der Querschnitt, Sommerheft 1922,  https://sammlung.buchheimmuseum.de/sammlungen-kunsthandel/kunsthandlung-a.-blumenreich-36617, (1.10.22).

[5] Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe, Jahrg. 23, Nr. 8, 1.5.25, https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0345(1.10.22).

[6] Die Weltkunst illustrierte Wochenschrift, Jahrg. 10, Nr. 8, 23.2.1936, ://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/wk1936/0043/scroll, (10.11.2022).

[7] Wolf Gruner, Judenverfolgung in Berlin 1933-1945. Eine Chronologie der Behördenmassnahmen in der Reichshauptstadt, (Stiftung Topographie des Terrors, 2009), S. 90-91.

[8] Brief von der Reichsschrifttumskammer an Blumenreich, 14.6.1937, BArchB, R/9361/V, 14421.

[9] Gruner, Judenverfolgung in Berlin, S. 69.

[10] Gruner, Judenverfolgung in Berlin, S. 94.

[11] Brief von der Reichsschrifttumskammer Gruppe Buchhandel an die Landesleitung Berlin in der Reichsschrifttumskammer, 28.2.1938, BArchB, R/9361/V, 14421.

[12] Brief von IHK and AG, 3.2.1938, LAB A Rep. 342-02, Nr. 57521.

[13] Vgl. Buchheim Stiftung, ‚Kunsthandlung A. Blumenreich‘, https://sammlung.buchheimmuseum.de/sammlungen-kunsthandel/kunsthandlung-a.-blumenreich-36617, (1.10.22).

[14] Brief von Rechtsanwalt Martin Isaac an AG am 19.2.1938, LAB A Rep 342-02, Nr. 57521.

[15] Brief von IHK an Amtsgericht Berlin, 4.3.1938, LAB A Rep 342-02, Nr. 57521.

[16] Blumenreich bezieht sich hier auf die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12.11.1938; Brief von Blumenreich an das Amtsgericht Berlin, 19.12.1938, LAB A Rep 342-02, Nr. 57521.

[17] Schreiben von Blumenreich an das Amtsgericht Berlin, 11.1.1939, LAB A Rep 342-02, Nr. 57521.

[18] MpTL., Arnhold Blumenreich, (27.10.22).

[19] Auswertung Metadaten der Transportlisten Berlin, Bestand 1.2.1.1., IST Digital Archive, Arolsen Archives, (Mitteilung 3.11 2020).

[20] MpTL.

Die Arbeit von Bethan Griffiths wurde im Rahmen der Initiative Jüdisches Leben und Widerstand gefördert durch: