„Diese Stolpersteine fühlen sich für mich eher wie Trittsteine an, ein neuer Halt auf einer persönlichen Reise zu Verständnis, Vergebung, Abschluss und Ganzheit.“
Mit diesen Worten beschloss Sarah S. Richardson ihre bewegende Rede zum Schicksal ihrer Familie, die – bis auf eine Person – Opfer der Shoa wurden. In Anwesenheit einer großen Familiendelegation aus den USA, Frankreich und den Niederlanden waren gestern Nachmittag fünf Stolpersteine in der Genthiner Straße Nr. 14 verlegt worden. Die überlebende 97-jährige Barbara Ledermann Rodbell war online aus den USA zugeschaltet war. Es folgte eine Gedenkstunde im Saal des Kiezzentrums Villa Lützow.
Für die Veranstaltergruppe hatte Gabriele Hulitschke für die Initiative „Jüdisches Leben und Widerstand in Tiergarten“ auch im Namen der Anne Frank-Zentren Berlin und Amsterdam, sowie des Heimatvereins Uedelhoven die Gäste im vollbesetzten Saal begrüßt. „Wir können nicht ungeschehen machen, was geschehen ist. Das einzige was wir tun können, ist daraus zu lernen,“ sagte Ronald Leopold (Anne Frank Haus Amsterdam) und fuhr fort: „Wir feiern Barbara Ledermann, die überlebt hat, weil sie in den Widerstand gegangen ist.“
„Das Leid von sechs Millionen ermordeten Juden wird anhand dieser Familie greifbar deutlich, der das Leben gestohlen wurde“, so Mary Swartz (Kulturattachée der US-Botschaft in Berlin). „Die Stolpersteine fordern uns dazu auf, Sorge für die Rechtstaatlichkeit zu tragen.“
Die Schülerinnen des Gymnasiums Tiergarten, Tita und Elif, wiesen in ihrer kurzen Rede darauf hin, dass am nächsten Tag in ihrer Schule eine Begegnung mit den Nachfahren der Ledermanns stattfindet.
Zum Hintergrund:
Der Anwalt Franz Anton Ledermann lebte mit seiner Frau Ilse Luise Ledermann und den Töchtern Barbara und Susanne mit der Großmutter mütterlicherseits Ellen Philippi Citroen, bis 1933 in unserem Kiez, in der Genthiner und der Derfflinger Straße. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme floh die Familie nach Amsterdam, um sich vor der antisemitischen Verfolgung zu schützen. Dort lernte die Familie Ledermann die Familien Goslar und Frank kennen. Tochter Susanne (auch Sanne) freundete sich mit Anne Frank (die das bekannte Tagebuch schrieb) ab 1934 intensiv an. Doch nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande im Mai 1940 waren die jüdischen Familien dort auch nicht mehr sicher. Nach Deportation im November 1943 zunächst ins Lager Westerbork wurden die 15-jährige Susanne und ihre Eltern kurz darauf im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von der SS ermordet. Die Großmutter kam nach ihrer Deportation im Februar 1944 im Januar 1945 in Bergen-Belsen ums Leben. In der Familie Citroen wurden 27 Personen Opfer des Holocaust.
Die musikalische Gestaltung der Gedenkstunde wurde vom Jewish Chamber Orchestra Hamburg auf hohem Niveau mit Werken von W.A. Mozart und L.v. Beethoven gestaltet. Damit erklangen Musikwerke, die von der Familie Ledermann einst als Hausmusik intoniert wurden.
Der Feier schloss sich ein Gang zu Stolpersteinen in der Genthiner Strasse an mit Blumenniederlegung.