Im Jahr 1863, sieben Jahre nach ihrer Hochzeit in Berlin und elf Jahre, nachdem Julius Popper Berlin verlassen hatte, um in der Provinz (Dessau, Stolp) eine Predigerstelle zu suchen und anzutreten, war das Ehepaar Laura und Julius Popper wieder in Berlin gelandet (mittendran vom 5. September 2025). In Stolp hatte Laura, nach einer zweiten Fehlgeburt 1858, in den Jahren 1861 und 1862 zwei Jungen geboren, Georg und Martin (Bild 1).

Es ist nun an der Zeit, die Herkunft und Familiengeschichte der Laura Popper geborene Bab (Bild 2) zu erzählen, über die wir und die Nachkommen der Familie (mittendran vom 6. August 2025) bislang eigentlich so gut wie gar nichts wissen.

Herkunft aus Meseritz, Provinz Posen (heute Miedzyrecz, Polen)
Meseritz war eine Kleinstadt nahe der Grenze zu Polen und im Zuge der zweiten polnischen Teilung (1793) an Preußen gefallen. Es gehörte unter napoleonischer Besetzung (1806) zum Herzogtum Warschau und war nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon (1813) zurück an Preußen gefallen. Es gab um 1793 unter den insgesamt 2200 Einwohnern der Stadt 700 Juden (33%), die mehrheitlich den Anschluss an Preußen bevorzugten, versprachen sie sich davon doch mehr Rechte als im katholischen Polen, auch wenn sie mehrheitlich konservativ-orthodoxe Juden waren.
Heinrich Heine hinterließ eine eindrucksvolle Beschreibung der Juden 1823 in der ländlichen Region um Meseritz, nicht unbedingt jedoch in der Stadt: „Das Äussere der polnischen Juden ist schrecklich. Mich überläuft ein Schauer, wenn ich daran denke, wie ich hinter Meseritz zuerst ein polnisches Dorf sah, meistens von Juden bewohnt … Dennoch wurde der Ekel bald verdrängt von Mitleid, nachdem ich den Zustand dieser Menschen näher betrachtete und die schweinestallartige Löcher sah, worin sie wohnen, mauscheln, beten, schachern und – elend sind. Ihre Sprache ist ein mit Hebräisch durchwirktes und mit Polnisch fassioniertes Deutsch“ (1).
1836, nachdem die Juden in der Provinz Posen 1833 einige Bürgerrechte erhalten hatten, war ihr Anteil an der Bevölkerung von Meseritz mit noch 24% hoch, aber er sank von 25% (1839) innerhalb weniger Jahre auf 9% (1867) und tiefer (1900: 3,6%). Grund waren die schlechten Verdienstmöglichkeiten in der Textilbranche dieser Grenzregion einerseits, die größere Freiheit der Juden im preußischen Kernland, und insbesondere in Berlin, andererseits.
Das Bürgerbuch von Meseritz (2) kannte 1834 fünf Familienvorstände mit den Familiennamen Bab, deren Verhältnisse zueinander jedoch unklar sind; vermutlich handelte es sich um Brüder bzw. Cousins aus einem größeren Familienverband. Einer von ihnen war Jacob Abraham Bab, dessen genaue Lebensdaten wir nicht kennen. Er wurde vermutlich um 1790 geboren, war zweimal verheiratet, und hatte neun Kinder, sechs mit seiner ersten Frau Michle (oder Michel) Brasch (????-1828) und drei mit Johanna (Hanne) Mendelsohn (1804-1855). Sara Laura Bab, geboren am 22. Oktober 1833, war das älteste der drei Kinder der zweiten Ehefrau; wir kennen ihr Geburtsdatum und ihre Eltern aus ihrem Geburtsschein, den sie anlässlich ihrer Hochzeit mit Julius Popper 1856 vorlegen musste und den die Familie sorgsam aufbewahrt hatte (Bild 3).

Lauras Schulzeugnisse
Es ist einer der seltenen Fälle, dass wir die vollständigen Schulzeugnisse eines Mädchens einsehen konnten. Da junge Frauen in diesen Zeiten in den allerseltensten Fällen einen eigenen Beruf erlernten, sondern verheiratetet wurden und Kinder bekamen, gab es wenig Grund, Schulzeugnisse aufzubewahren. Wir verdanken es der Sorgfalt Julius Poppers – und seines Sohnes Martin -, dass er nicht nur seine, sondern auch Schulunterlagen seiner Frau aufbewahrt hat.
Laura wurde am 22. Oktober 1833 geboren und besuchte die jüdische Gemeindeschule vermutlich ab Ostern 1841; da war sie also sieben Jahre alt. Aus der zweiten Klasse (Michaelis = Herbst 1841 bis Ostern 1842 liegt uns ein Schulzeugnis vor (Bild 4), das ihr, bis auf das Rechnen, insgesamt gute Grundnoten (Betragen, Fleiß, Rechnen, Schreiben, Lesen, Geografie/Geschichte, Religion) bescheinigte. Das Abschlusszeugnis stammt vom Januar 1848 – sie war jetzt 14 Jahre alt und hatte sieben Schuljahre hinter sich, mit gleichbleibend guten Schulleistungen. Sie wurde entlassen „mit dem Prädikate lobenswerth und dem lebhaften Wunsche, daß sie, erfüllt von Gottes heiligem Geiste, ihre guten Anlagen immer mehr ausbilden und die gewonnenen Kenntnisse zur Veredlung ihres Herzens benutzen möge“ – und im Rechnen war sie von schwach auf sehr gut gekommen.
Über die nächsten Jahre bis zur Hochzeit mit Julius Popper 1856 fehlen uns Belege, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sie zusammen mit ihrem Bruder Adolph Bab 1848 nach Berlin gekommen ist.

Die Familie Bab kommt nach Berlin
Natürlich hätte Laura Bab den Prediger Julius Popper auch in Meseritz kennenlernen können, wenn er dort eine Stelle angetreten hätte statt in Dessau oder Stolp – aber die Gemeinde in Meseritz war noch um einiges kleiner, und Julius strebte nach Höherem, wie wir gesehen haben. Wahrscheinlich haben sich die Eheleute in Berlin getroffen – aber wann kam die Familie Bab nach Berlin?
Ausweislich des Adressbuches der Stadt gab es bis 1848 keine Familie diesen Namens in der Stadt. Im Jahr 1849 findet sich in der Friedrichstadt (Jerusalemerstr. 42) erstmals der Kaufmann Adolph Bab, ab 1852 in der Leipziger Str. 60: Händler von Seidenband- und Weißwaren (Wäsche) (Bild 5). Adolph Bab ist der ältere Bruder von Laura, geboren 1823 in Meseritz, jüngstes Kind der ersten Ehefrau des Jacob Abraham Bab; er war beim Umzug nach Berlin also 26 Jahre alt. Er heiratete 1854 Johanna (Hanne) Gumpert, geboren am 1835 in Brandenburg (Havel), und hatte mit ihr eine Tochter, Margarethe, geboren 1855 in Berlin; diese heiratet 1876 Rudolph Levinsohn, mit dem sie mehrere Kinder hat.

Die Firma Adolph Bab residierte im neuen, künftigen Verkaufszentrum der Stadt in der Leipziger Straße, in der sich bald auch die Firma Rosenhain/Fürstenberg niederließ (mittendran vom 20. Januar 2024); hier blieb sie für die nächsten Jahre. 1864 eröffnete Adolph Bab ein größeres Geschäft ein paar Häuser weiter (Leipziger Str. 81) und wohnte in der Leipziger Str. 49. Das Geschäft lief gut: Er nahm zwei Teilhaber in sein Geschäft (1873), suchte eine Direktrice für ein „Putzgeschäft“ (Hüte) in Moskau (1874), ersetzte seine Teilhaber durch seinen Schwiegersohn Levinsohn (1876), wurde in Berlin Hoflieferant der Königin (1879), ließ sich ein Warenzeichen (Bild 6) entwerfen und sichern (1877), suchte einen Damenschneider für eine Provinzstadt (1879) und auch sonst allerlei Personal, und expandierte und eröffnete eine Zweigstelle in Dresden (1882). Unmittelbar nach seinem Tod – er starb am 19. Juli 1890 – übernahm die Witwe die Firmenleitung, verkaufte die Dresdner Filiale und löste die Berliner Firma auf; der Warenbestand in Berlin wurde verkauft und das Geschäftslokal vermietet. Die Witwe lebte bis an ihr Lebensende, offenbar wohlhabend, am Kurfürstendamm 254 (3).

Das Geschäft der Gebrüder Bab
Auch die anderen beiden Brüder Lauras, Moritz (Moses) und Hermann (Hirsch) kamen nach Berlin und gründeten dort 1859 ein gemeinsames Geschäft, die „Bab Gebrüder„, auch wenn ihr Geschäft vielleicht nicht so erfolgreich war wie das ihres Bruders Adolph. Erstmals im Adressbuch sind sie im Jahr 1860 gelistet. Immerhin konnte die Firma, die ebenfalls mit Weißwaren, Stickereien und Seidenbändern handelte, im Jahr 1909 ihr 50jähriges Firmenjubiläum feiern (Bild 7).

Moritz (Moses) Bab war 1835 in Meseritz geboren worden, war also 25 Jahre als, als er und sein um ein Jahr jüngerer Bruder Herrmann die Firma gründete. Er heiratete um 1861 Cäcilie Mendelsohn (1840-1905), mit der er zwei Kinder hatte: Georg Felix, geboren 1862, und Siegfried, geboren 1874. Moritz starb am 14. Februar 1877, mit nur 42 Jahren, seine Frau überlebte ihn um fast 30 Jahre: sie starb am 27. Mai 1905.
Herrmann Bab, geboren 1836, heiratete Bertha Mendelsohn (1843-1921), die jüngere Schwester von Cäcilie, und hatte mit ihr vier Kinder, drei Mädchen (Johanna, 1866-1943; Clara, 1868-19939; Hedwig, 1872-1939) und Felix (1865-1933). Hermann Bab starb am 5. September 1901 in Berlin, seine Witwe starb 20 Jahre später, am 21. November 1921 und wohnte zu dieser Zeit Sybelstraße 52 in Charlottenburg.
Moritz und Hermann betrieben neben dem gemeinsamen Unternehmen Bab Gebrüder je ein weiteres Unternehmen, Moritz in der Kronenstraße, Hermann in der Jägerstraße, also alle in einem engen Umkreis in der Friedrichstadt. 1876 wurde die Firma Bab Gebrüder aufgelöst (Bild 8), und Herrmann führte die Firma allein weiter. Nach Hermanns Tod 1901 trat dessen Sohn Felix in die Firma ein und führte sie bis 1925, immer noch mit Modewaren, Blusen, Kleider, usw.., aber inzwischen residierte sie an der Tauentzienstraße 7 im Herzen des neuen Westens. Und die Zahl der Haushalte und Geschäfte unter den Namen Bab in Berlin hat sich auf mehr als 40 Einträge erhöht.

Wir können mit einigem Recht annehmen, dass der kaufmännische Erfolg der Familie Bab Teil der finanziellen Sicherheit der Familie von Julius Popper darstellte: Gegenüber schlecht bezahlten Akademikern wie Julius Popper, der bis zu seiner Rückkehr nach Berlin 1862 nur sehr bescheidene Einkünfte hatte, haben Kaufleute, wenn sie erfolgreich waren, immer die besseren Lebenschancen. Wie wir im nächsten Teil der Geschichte sehen werden, konnte sich Julius Popper nach kurzer Zeit in Berlin ein Stadthaus als Eigentum „leisten“, in unmittelbarer Nähe zur Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße, die 1869 gebaut worden war.
Literatur
- Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden, Band 3. Berlin und Weimar 1872, Seite 564.
- Das Bürgerbuch von Meseritz 1741-1851, nach Vorarbeiten von Konrad Rittershausen bearbeitet von Hans Jokisch, herausgegeben von Hans-Jürgen Karp. J.G.Herder-Institut, Marburg/Lahn 1981.
- Alle Informationen aus dem Zeitungsportal der Deutschen Digitalen Bibliothek: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/search/newspaper?query=“Adolph+bab“