Julius Popper, geboren in Hildesheim am 5. Oktober 1822, war der erste und für lange Zeit der einzige der Popper-Ahnen, der nicht nur eine höhere Bildung erhielt, sondern der auch eine seiner Ausbildung entsprechende akademische Karriere anstrebte, der aber zu früh verstarb, um sie zu erreichen.
Schule in Hildesheim, Studium in Berlin und Leipzig
Vermutlich ging er, wie alle seine Geschwister, an die jüdische Gemeindeschule in Hildesheim, die in den Jahren 1831 bis 1844 vom Landrabbiner Levi (Löb) Bodenheimer (1807-1868) geleitet wurde. Von diesem haben wir ein genaues Bild (Bild 1), dank des Zeichentalents von Julius Bruder Isidor Popper (1816-1884), der uns später noch einmal beschäftigen wird.

Mit 21 Jahren, am 7. September 1841 bestand Julius das Abitur am Gymnasium Andreanum in Hildesheim (heute: Scharnhorst-Gymnasium), einer ehemaligen Klosterschule mit langer Tradition: Das Gymnasium war bereits 1225 gegründet worden, wurde ab 1542 (nach der Reformation 1517) kurzzeitig evangelisch geführt, und war ab 1546 in städtische Trägerschaft; ab 1850 war es zusätzlich Realgymnasium. Es hatte im 19. Jahrhundert viele jüdische Schüler, wie die Schul-Annalen ausweisen (1).
Unmittelbar im Anschluss daran, am 20. Oktober 1841, immatrikulierte er sich an der Friedrich-Wilhelms-Universität (FWU) Berlin im Fach Philosophie. Sein Studium dauerte bis zum 31. Januar 1846 (Exmatrikulation). In dieser Zeit wohnte er im jüdischen Waisenhaus für Knaben in der Rosenstraße 12, und wir wissen von dessen Leiter, Baruch Auerbach (1793-1864), der ihm später ein Zeugnis ausstellte, dass er dort als einer von zwei Erziehern gegen Kost und Logis arbeitete, um sich so das Studium zu verdienen. Unter dieser Adresse ist er auch im Berliner Adressbuch erstmalig 1843 gelistet, und letztmalig 1852 (Bild 2).

Erzieher am Auerbach´schen Waisen-Institut
Das von Baruch Auerbach 1833 gegründete jüdische Waisen-Erziehungsinstitut war zunächst für nur 4 Knaben eingerichtet worden, aber bereits 10 Jahre später waren es 18, die dort zeitgleich bis zur Entlassung in das Berufsleben wohnten. Sie besuchten in dieser Zeit die ebenfalls von Auerbach geleitete jüdische Gemeinde-Knabenschule. Das Waisenhaus wurde von privaten Spenden jüdischer Gemeindemitglieder in Berlin unterstützt. Jährlich veröffentlichte Auerbach eine Fortschrittsbericht, in dem nicht nur die Einnahmen und Ausgaben des Waisenhauses und die Sponsoren gelistet wurden, sondern auch, durchaus im Detail, die erzieherischen und berufliche Erfolge seiner Zöglinge dokumentiert wurden, und als deren Anzahl größer wurde, auch eine diesbezügliche Statistik eingefügt war (Bild 3). Ab 1844 gab es in der Rosenstraße auch eine Waisenhausabteilung für Mädchen.

Mit dem Ende seines Studiums 1847 beantragte Julius Popper die Einbürgerung in Preußen, während sein Vater Meyer Popper in Hannover im Jahr 1847 die Entlassung seines Sohnes aus der hannoverschen Staatszugehörigkeit beantragte (2). Julius erhielt den preußischen Bürgerbrief am 22. Juli 1848.
Prediger und Religionslehrer in Dessau
Seine erste Stelle nach dem Studium trat er 1852 als Lehrer und Prediger der jüdischen Gemeinde Dessau sowie als Religionslehrer an dortigen Franzschule an, nachdem er sich noch von Berlin aus auf die frei gewordene Stelle dort beworben hatte. Gleichzeitig setzte er seine Studien an der Universität Leipzig fort, wo er 1854 die Promotionsprüfung ablegte mit einer handgeschriebenen, in lateinischer Spache abgefaßte Doktorarbeit zum Thema „Observationes criticae in pentateuchi de tabernaculo relationem“ (Kritische Betrachtungen zum Pentateuch, den fünf Büchern der Tora, der jüdischen Bibel). (Bild 4) (3). Diese und seine weiteren Publikationen werden wir später diskutieren. Auch seine Predigerstelle in Dessau und deren nicht besonders glückliches Ende sollen noch ausführlicher dargestellt werden.

Heirat in Berlin
Vier Jahre nach Beginn seiner Unterrichtstätigkeit in der jüdischen Gemeinde und zwei Jahre, nachdem er den Unterricht auf die Franzschule beschränkt hatte, beantragte er beim Konsistorium, der religiösen Aufsichtsbehörde für das Schulwesens in Anhalt-Dessau, die Genehmigung der Heirat mit seiner ihm vermutlich aus Berlin bekannten Braut Laura Sara Babs (1833-1896) aus Meseritz, damals in der preußischen Provinz Posen gelegen (heute: Międzyrzecz, Polen). Sie war 23 Jahre alt und die Tochter des Rentiers Jakob Abraham Bab und dessen Ehefrau Hanna, geborene Mendelson (Bild 5). Dabei ergab sich ein eher förmliches Heiratshindernis: Als preußischer Bürger sollte er, wie auch die anhaltischen Bürger, ein Ledigennachweis von seiner Heimatgemeinde erbringen, mit der belegt werden sollte, dass der Heiratskandidat nicht bereits woanders verheiratet war. Einen solchen Nachweis gab es aber in Preußen nicht, wie ihm auf Rückfrage aus Berlin mitgeteilt worden war. Das Paar verlobte sich am 18. August 1856 in Berlin. Da offenbar die Heirat bereits fest eingeplant war, beantragte er am 15. November des Jahres die Genehmigung der Bestellung des Aufgebots trotz noch fehlenden Ledigennachweises unter dem Vorbehalt, dass die Heirat erst dann erfolgen würde, wenn dieser Nachweis – aus Hildesheim – erbracht worden sei; dies wurde offensichtlich bewilligt, denn sie heirateten bereits im Dezember des Jahres 1856 und zogen in ein eigenes Haus in der Mittelstraße 19 in Dessau (4), wo Julius Popper seit 1855 auch ein Knabenpensionat betrieb für auswärtiger Schüler der Franzschule (Bild 6). Ein am 18. August 1857 zur Welt gekommenes erstes Kind starb am gleichen Tag.


Seine Schwester Therese heiratet in Dessau, sein Vater stirbt in Dessau
Im Jahr 1854 zog Julius Schwester Therese, 34 Jahre alt, die ihre Mutter bis zu deren Tod gepflegt hatte, von Hildesheim nach Dessau und heiratete dort am 4. November 1854 den Drucker Hermann Neubürger (Bild 7), der nach dem Tod seiner ersten Frau mit sieben unmündigen Kindern zurückgeblieben war. Julius Popper, der vermutlich diese Ehe „arrangiert“ hatte, hielt die Traurede (5), in der es hieß: „Die besten Jahre Deines Lebens hast Du dieser edlen Kindespflicht geopfert … Der Herr zahlet Dir heute den Lohn kindlicher Treue „. Ob die „nachgelassene“ Therese auch so empfunden hat angesichts der Schar unmündiger Kinder, denen sie die Mutter ersetzen sollte, wissen wir nicht; wir wissen aber, dass sie keine eigenen Kinder mehr bekommen hat und dass sie fünf Jahre vor ihrem Mann am 23. November 1882 in Dessau verstarb – sie wurde nur 62 Jahre alt (Bild 8). Und vermutlich hat sie auch ihren Vater Meyer Popper bis zu dessen Tod versorgt: er kam nach 1856 aus Hildesheim hierher und verstarb am 10. August1860 im Alter von 70 Jahren.

Die überaus interessante Geschichte der jüdischen Familie Neubürger, die sich durch diese Heirat mit der Geschichte der Poppers verknüpfte, aber auch ein paar eigene Beziehungen zum Lützow-Viertel aufweist, wollen wir im nächsten Teil darstellen.

Literatur
1. https://de.wikipedia.org/wiki/Gymnasium_Andreanum, https://www.andreanum.de/index.php
2. Stadtarchiv Hildesheim, Archiv Nr. 101 – 794a Nr. 24: Entlassung aus der Staatsangehörigkeit für Julius Popper 1847.
3. Pentateuch: https://de.wikipedia.org/wiki/Tora
4. Franz Brückner: Häuserbuch der Stadt Dessau. Band 9, Seite 706-712.
5. Trau-Rede des Julius Popper bei der Trauung seiner Schwester Therese mit dem Hermann Neubürger in Dessau am 4. November 1855. Dessau 1856 (Eigendruck).