Stolpersteine – gesellschaftlich wichtig

Gedenk- und Kunstprojekt für Europa –

und ein Vorbild für die Welt 

Teil 1 einer Präsentation von Hannelore Stippel und Georg Frank von der Initiative Stolpersteine Mitte Berlin 

Mit knapp 100.000 Stolpersteinen in 1.800 Städten in 28 Ländern hat Gunter Demnig mit seinem Team ein einmaliges und weltweit anerkanntes Denkmal für Opfer des NS-Terrors erschaffen – eine Mahnung gegen das Vergessen und gegen das Aufkeimen von Hass und Ausgrenzung. 

Stolpersteine sind 10 x 10 x 10 cm große, in Beton gegossene Steine mit einer an der Oberseite verankerten Messingplatte, auf der in eingehämmerten Buchstaben z. B. zu lesen ist: „HIER WOHNTE…“, dann Name, Geburtsjahr, Datum und Ort der Deportation oder der Ermordung eines Menschen. 

Stolpersteine sind Zeichen des Erinnerns. Ein Blinken und Blitzen im Fußweg– man bleibt stehen, bückt sich, liest einen oder mehrere Namen, die Geburts- und Todesdaten einer Frau, eines Mannes oder Kindes. Man hält inne, für einige Augenblicke spürt man ein Entsetzen, bis der Verstand es erfasst: Während der Nazizeit sind aus diesem Haus Bewohner verschleppt worden. Es sind keine anonymen Zahlen, es wird an das individuelle Schicksal erinnert. Nur wenige kamen zurück, die meisten wurden in Konzentrationslagern ermordet. 

Die Kraft der Stolpersteine liegt in der Begegnung mit ihnen. Diese Begegnung schärft das „Bewusstsein von der Zerbrechlichkeit der Zivilisation“ (Jutta Limbach, ehem. Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts) und stärkt die Mitverantwortung für das „Nie wieder“. 

Seit 1992 arbeitet der Kölner Künstler Gunter Demnig an dem Projekt Stolpersteine, das als vorbildlich von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, dem Staat Israel und einer Vielzahl von Opferorganisationen weltweit angesehen wird. (aus: Über die Stolpersteine | Initiative Stolpersteine für München e.V. (stolpersteine-muenchen.de) 10.04.2023) 

Warum halten wir die Stolpersteine für gesellschaftlich so wichtig? Bei dem Holocaust handelt es sich wahrscheinlich um das größte Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschen Reiches (1933 – 1945). Die Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerungen und anderer ausgegrenzter Gruppen erfolgten im Deutschen Reich und allen eroberten Gebieten. Insgesamt etwa 6 Millionen Männer, Frauen und Kinder. Diese Vorgänge sind nicht nur Teil der deutschen Geschichte, sondern auch unserer heutigen Identität. Deshalb ist es auch für uns Heutige wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Die Stolpersteine tragen dazu bei.  

Seit Gunter Demnig mit dem Projekt der Stolpersteine begonnen hat, bildeten sich in vielen deutschen Städten Gruppen, die ihn bei der Vorbereitung der Steine und der Verlegungen unterstützten. So auch seit 1996 in den Berliner Bezirken . 

1996 wurden in der Oranienstraße in Kreuzberg die ersten Stolpersteine verlegt, es waren 50 Steine, natürlich ohne Genehmigung. Legalisiert wurden die Stolpersteine erst später. 

Im Stolpersteinprojekt liegt ein wesentlicher Teil der Gedenk- und Erinnerungsarbeit darin, verschüttete Spuren eines Lebensweges zu suchen und freizulegen. Dies ist ein mühseliger, aber auch spannender Prozess, der mit der Verfolgungsmaschinerie der Nationalsozialisten konfrontiert, den minutiös geplanten Abläufen der Deportationen und der juristisch gedeckten und staatlich perfektionierten Bürokratie, die alle Verfolgten begleitete. 

Stolpersteine waren von Anfang an Steine des Anstoßes. Die Menschen wollten nicht mit der NS-Geschichte konfrontiert werden. Auch heute begegnet uns das immer noch. Beispielhaft eine Verlegung in der Müllerstraße vor ca. 3 Wochen: Eine Passantin echauffierte sich über die Verlegung auf dem Fußweg: „Man sollte die Geschichte doch endlich mal ruhen lassen.“ 

Von 1996 bis heute hat sich an der Grundidee, Stolpersteine für NS-Verfolgte zu verlegen, nichts verändert.  

Nur sprachlich, also bei der Beschriftung des Steins, hat sich vieles geändert. Die Aussage ,,Verschollen in Auschwitz“, wird z.B. schon lange nicht mehr verwendet, da es eine Verharmlosung des geplanten Mordes bedeutet.  

Der Opferbegriff ist erweitert worden, so gibt es nun – nach großen Diskussionen in den Initiativen – Stolpersteine auch für Überlebende.  
Darum gibt es heute nicht nur Stolpersteine für jüdische Menschen, sondern auch 

  • für Sinti und Roma, 
  • für homosexuelle Männer und Frauen, 
  • für sogenannte “Asoziale” – damit haben die Nazis u.a. Menschen gemeint, die nach ihrer Meinung arbeitsscheu waren, 
  • für Zeugen Jehovas, 
  • für Widerstandskämpfer, Kommunisten 
  • für Kirchenvertreter wie Karl Bonhoeffer. 

Wichtig dabei ist, dass die Recherche keine Routine wird, denn jeder Mensch hat das Recht auf ungeteilte Aufmerksamkeit. Es geht um eine Würdigung des Einzelnen.  

Und – jede Verlegung ist anders . . . 

Hier ein paar Beispiele:  

Der Stolperstein für einen Widerstandskämpfer, der im KZ Börgermoor im Emsland ermordet wurde. Seine Frau, damals über 90 Jahre, war bei der Verlegung dabei. In diesem KZ wurde das Lied ,,Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor“ geschrieben. Bei der Verlegung hatte ein Kollege unserer Initiative einen Kassettenrecorder dabei und wir sangen dieses Lied und viele haben geweint. 

Oder eine Verlegung in Moabit, Stolpersteine für einen ehemaligen Rabbiner und seiner Frau. Hier reisten 18 Angehörige aus Israel an und einige brachten Musikinstrumente mit, dann wurde Musik gemacht. Das war auch eine sehr bewegende Verlegung. 

Oder in Mitte, elf Steine für eine Familie, das jüngste Opfer war ein Kind von 8 Jahren, wir haben nicht herausbekommen, in welchem Jahr genau es geboren wurde. In Yad Vashem gibt es einen Eintrag des Großvaters, dass es 8 Jahre alt war. Hier haben die Angehörigen bei der Verlegung gesungen. 

Im Spätsommer werden wir zwölf Stolpersteine für eine Roma Familie verlegen. Da ist ein Kind in Auschwitz-Birkenau zur Welt gekommen und hat noch kurz gelebt und wurde gleich im KZ ermordet – einen Namen hat es nicht.